Der versteckte Berg
Zum Palmsonntag: Längst nicht mehr weithin erhaben sichtbar, prägt der Kalvarienberg doch mit seinem Namen ein Viertel.
Was wäre rund um die Karwoche und Ostern treffender als die Gegend rund um den Kalvarienberg, dort, wo sich ein ehrwürdiges, jahrhundertealtes, von Religiosität geprägtes Denkmal mit dem modernen Leben vermählt. Es ist nicht die eleganteste Ecke von Graz, in die es diesmal mit Lilly geht, aber eine spannende: einerseits üppige barocke Bauwerke, kaiserlich gefördert, andererseits zweckmäßiger sozialer Wohnbau.
Aber lassen wir uns zuerst von Stadthistoriker Karl Kubinzky in das Kalvarienviertel einweisen: „Es ist der nördlichste Teil des Bezirkes Lend, bis 1938 an der Stadtgrenze zur Gemeinde Gösting. Der Kalvarienberg liegt nun in einer Nische zwischen den Hauptstraßen und dem öffentlichen Verkehr.“Nehmen wir den Austein, wie er früher hieß, als Ausgangspunkt. „Der ist neben dem Schloßberg der zweite Felsspitz im Flachteil des Grazer Feldes“, erläutert Kubinzky. Es gibt natürlich auch eine sagenhafte Erklärung. Der Teufel soll, um versprochene Seelen geprellt, einen Felsen auf die Stadt geschleudert haben, der zerbrach. Der größere wurde zum Schloßberg, der kleinere zum Austein, quasi ein Nachempfinden des Berges Golgatha bei Jerusalem, auf dem Jesus ans Kreuz geschlagen wurde. „Man begann mit dem Ausbau zum Kalvarienberg zu Beginn des 17. Jahrhunderts – die erste derartige Anlage im Habsburgerreich“, erzählt Kubinzky. Auf der Spitze des Berges ragen die drei Kreuze in den Himmel, sie waren weithin von der ganzen Stadt aus zu sehen.
Nicht nur Pilger finanzierten die Erweiterungen, auch Kaiser Leopold I. kam 1660 nach Graz und leistete seinen finanziellen Beitrag zur Ölbergkapelle. Heilige Stiege, Kirche, Kreuzwegstationen: Der Kalvarienberg erfuhr eine stete Erweiterung und Zuspruch durch Pilgerströme. Am 3. Mai 1657 kamen am Gedenktag zur Kreuzauffindung 8000 Pilger, 1667 las man hier mehr als 900 Messen. An die von der Stadt kommenden Prozessionen erinnern Bildstöcke in der Zeiller-, Grimm- und Kalvarienberggasse. An den Zweiten Weltkrieg das Stollensystem, das Schutz vor Luftangriffen bot.
Der Kalvarienberg entschwand in jüngeren Zeiten dem Blick der Bevölkerung, Ergebnis einer intensiven Bautätigkeit. Nur wenige Gebäude ste
hen seit dem 19. Jahrhundert da, wie das Hirtenkloster (1858), heute eine soziale Einrichtung. Einen Markstein setzte die Stadt 1930 mit der Errichtung eines Wohnblocks nach Wiener Vorbild. Kubinzky: „In der schwierigen Zeit war der Bau eine besondere Leistung, in Graz dürfte die Wohnanlage die größte ihrer Art aus dieser Zeit sein.“
Seine Zentrale schlug vor den Toren der alten Pilgerstätte das Kulinarikunternehmen Grossauer auf. Es tut sich etwas, wo schon ein Kaiser zu Fuß ging. Auch wenn das Kalvarienviertel noch viel Staub bedeckt, beim Spazieren lässt sich die Frische des Frühlings erahnen, die den nördlichen Lend erfasst. Abseits der Hauptverkehrsrouten zieht sich Grün durch und erfreut nicht nur die Lilly.