Eigene vier Wände geben Hoffnung
Eine Wohnung ist für eine alleinerziehende Mutter mit vier Kindern ohne Hilfe schwer zu stemmen. Hier setzt „Housing First“an.
Man fragt sich schon: Schaffe ich das alleine?“Ulrike Kainzer sitzt am Esstisch, ein Wasserglas steht vor ihr. Sie ist Mutter von fünf Kindern, das älteste ist einem Krebsleiden erlegen. Vor einem Jahr hat sie ihrem gewalttätigen Ehemann den Rücken gekehrt und mit ihren vier Kindern im Alter zwischen sechs und 15 Jahren im Haus Rosalie Unterkunft gesucht. Der Tisch, an dem sie sitzt und ihre Geschichte erzählt, ist ihrer. Er steht in ihrer Küche, in ihrer Wohnung, in ihren eigenen vier Wänden. Und sie sagt mit einem Lächeln: „Hier fühle ich mich sicher.“
Vor einem Monat hat Frau Kainzer mit ihren Kindern eine Wohnung rechts der Mur bezogen. Vermittelt wird sie über das Projekt „Housing First Österreich“, das aus Finanzmitteln des Sozialministeriums gefördert wird und österreichweit koordiniert von der BAWO, dem Dachverband der Wohnungslosenhilfe. Umgesetzt wird dies in der Steiermark von der Wohnplattform Steiermark, den VinziWerken, der Caritas und Jugend am Werk.
In Grundzügen funktioniert „Housing First“wie folgt: Menschen, die ihre Wohnung verloren haben oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, wird eine Wohnung vermittelt. Der Großteil der Wohnungen stammt aus dem gemeinnützigen Wohnbau. Die Mieter unterschreiben den Mietvertrag selbst, bezahlen auch die Miete. Finanzierungsbeiträge, Umzugskosten und Kautionen werden durch Projektmittel übernommen. Für armutsbetroffene
Menschen sind solche nicht zu stemmen.
Zusätzlich werden die Menschen langfristig durch Sozialarbeiter begleitet. „Es geht ja nicht nur darum, die Wohnsituation zur organisieren“, sagt Andrea Guégan-Knafl von „Jugend am Werk“. Unterstützung bei Behördenwegen sei ebenso wichtig, oder wenn es gesundheitliche Probleme gibt. Sind Schulden da, wird auch für eine Schuldnerberatung gesorgt. „Was viele unterschätzen: Wenn
Kosten sie erst einmal wieder eine Meldeadresse haben, kommt eine Flut an Briefen auf sie zu, das überwältigt manche.“Bis zu drei Jahre bzw. so lange wie notwendig erhalten Betroffene Hilfe. „Es geht darum, sie dabei zu unterstützen, wieder auf eigenen Beinen stehen zu können. Nicht kurzfristig, sondern nachhaltig und auf Dauer.“
Auf Dauer will auch Sozialminister Johannes Rauch „Housing First“in Österreich verankert sehen. Aus diesem Grund wurde
das Projekt mit 6,6 Millionen Euro gefördert. Der Wohnschirm, der offene Mietkosten und Energiekosten übernimmt, der ist mit 224 Millionen Euro dotiert. Auch Rauch sitzt an diesem Vormittag am Küchentisch von Frau Kainzer: „Das Erste und Wichtigste ist es, eine Wohnung zu haben, denn ohne Meldeadresse geht gar nichts.“Frau Kainzer nickt. Doch eine Wohnung mit vier Kindern als Alleinerzieherin zu finden, sei schwierig gewesen. Und nicht finanzierbar. Sie selbst ist durch ihre Schwester auf „Housing First“aufmerksam gemacht worden.
Noch ist nicht alles an seinem Platz in der Wohnung. „Vor allem Kästen fehlen uns“, sagt Frau Kainzer. Doch die vier Wochen in der eigenen Wohnung nach Monaten der Ungewissheit haben schon einiges verändert. „Die Motivation, weiterzumachen, nicht aufzugeben, das hat sich verändert.“Schritt für
Schritt entwickelt sich eine Routine im neuen Zuhause, kommt die Familie an.
Für Ulrike Kainzer war es nicht leicht, ihre Geschichte öffentlich zu erzählen. Doch sie möchte andere Frauen ermutigen, auch diesen Schritt zu gehen, wenn sie von Gewalt bedroht oder betroffen sind. „Ich habe jahrelang mit der Angst gelebt, aber irgendwann habe ich mir gesagt, so geht es nicht weiter“, erzählt sie. „Wir leben in einem Land, wo geholfen wird.“