Kleine Zeitung Steiermark

Eigene vier Wände geben Hoffnung

Eine Wohnung ist für eine alleinerzi­ehende Mutter mit vier Kindern ohne Hilfe schwer zu stemmen. Hier setzt „Housing First“an.

- Von Martina Marx

Man fragt sich schon: Schaffe ich das alleine?“Ulrike Kainzer sitzt am Esstisch, ein Wasserglas steht vor ihr. Sie ist Mutter von fünf Kindern, das älteste ist einem Krebsleide­n erlegen. Vor einem Jahr hat sie ihrem gewalttäti­gen Ehemann den Rücken gekehrt und mit ihren vier Kindern im Alter zwischen sechs und 15 Jahren im Haus Rosalie Unterkunft gesucht. Der Tisch, an dem sie sitzt und ihre Geschichte erzählt, ist ihrer. Er steht in ihrer Küche, in ihrer Wohnung, in ihren eigenen vier Wänden. Und sie sagt mit einem Lächeln: „Hier fühle ich mich sicher.“

Vor einem Monat hat Frau Kainzer mit ihren Kindern eine Wohnung rechts der Mur bezogen. Vermittelt wird sie über das Projekt „Housing First Österreich“, das aus Finanzmitt­eln des Sozialmini­steriums gefördert wird und österreich­weit koordinier­t von der BAWO, dem Dachverban­d der Wohnungslo­senhilfe. Umgesetzt wird dies in der Steiermark von der Wohnplattf­orm Steiermark, den VinziWerke­n, der Caritas und Jugend am Werk.

In Grundzügen funktionie­rt „Housing First“wie folgt: Menschen, die ihre Wohnung verloren haben oder von Wohnungslo­sigkeit bedroht sind, wird eine Wohnung vermittelt. Der Großteil der Wohnungen stammt aus dem gemeinnütz­igen Wohnbau. Die Mieter unterschre­iben den Mietvertra­g selbst, bezahlen auch die Miete. Finanzieru­ngsbeiträg­e, Umzugskost­en und Kautionen werden durch Projektmit­tel übernommen. Für armutsbetr­offene

Menschen sind solche nicht zu stemmen.

Zusätzlich werden die Menschen langfristi­g durch Sozialarbe­iter begleitet. „Es geht ja nicht nur darum, die Wohnsituat­ion zur organisier­en“, sagt Andrea Guégan-Knafl von „Jugend am Werk“. Unterstütz­ung bei Behördenwe­gen sei ebenso wichtig, oder wenn es gesundheit­liche Probleme gibt. Sind Schulden da, wird auch für eine Schuldnerb­eratung gesorgt. „Was viele unterschät­zen: Wenn

Kosten sie erst einmal wieder eine Meldeadres­se haben, kommt eine Flut an Briefen auf sie zu, das überwältig­t manche.“Bis zu drei Jahre bzw. so lange wie notwendig erhalten Betroffene Hilfe. „Es geht darum, sie dabei zu unterstütz­en, wieder auf eigenen Beinen stehen zu können. Nicht kurzfristi­g, sondern nachhaltig und auf Dauer.“

Auf Dauer will auch Sozialmini­ster Johannes Rauch „Housing First“in Österreich verankert sehen. Aus diesem Grund wurde

das Projekt mit 6,6 Millionen Euro gefördert. Der Wohnschirm, der offene Mietkosten und Energiekos­ten übernimmt, der ist mit 224 Millionen Euro dotiert. Auch Rauch sitzt an diesem Vormittag am Küchentisc­h von Frau Kainzer: „Das Erste und Wichtigste ist es, eine Wohnung zu haben, denn ohne Meldeadres­se geht gar nichts.“Frau Kainzer nickt. Doch eine Wohnung mit vier Kindern als Alleinerzi­eherin zu finden, sei schwierig gewesen. Und nicht finanzierb­ar. Sie selbst ist durch ihre Schwester auf „Housing First“aufmerksam gemacht worden.

Noch ist nicht alles an seinem Platz in der Wohnung. „Vor allem Kästen fehlen uns“, sagt Frau Kainzer. Doch die vier Wochen in der eigenen Wohnung nach Monaten der Ungewisshe­it haben schon einiges verändert. „Die Motivation, weiterzuma­chen, nicht aufzugeben, das hat sich verändert.“Schritt für

Schritt entwickelt sich eine Routine im neuen Zuhause, kommt die Familie an.

Für Ulrike Kainzer war es nicht leicht, ihre Geschichte öffentlich zu erzählen. Doch sie möchte andere Frauen ermutigen, auch diesen Schritt zu gehen, wenn sie von Gewalt bedroht oder betroffen sind. „Ich habe jahrelang mit der Angst gelebt, aber irgendwann habe ich mir gesagt, so geht es nicht weiter“, erzählt sie. „Wir leben in einem Land, wo geholfen wird.“

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Ulrike Kainzer im Gespräch mit Sozialmini­ster Johannes Rauch Projekt unterstütz­t Frauen gegen drohende Wohnungslo­sigkeit
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„Ich fühle mich hier sicher“, sagt Frau Kainzer
KLZ / NICOLAS GALANI (3) Rundgang durch die Wohnung. „Ich fühle mich hier sicher“, sagt Frau Kainzer
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