Kleine Zeitung Steiermark

Bombenalar­m am „Jausenplat­zl“

Mit der Ausstellun­g „Verborgen im Fels“nimmt die Kulturhaup­tstadt Ischl Salzkammer­gut 2024 in Altaussee den Betrieb auf.

- Von Ute Baumhackl

Die Stimme des alten Herrn klingt entschiede­n: Nein, sagt der mittlerwei­le 101 Jahre alte Franz Weissenbac­her in einem Audiodokum­ent der Ausstellun­g „Verborgen im Fels“: Die ganze Kunst, sie sei sauber in Packpapier und Paletten verpackt gewesen, „dass der Genter Altar als Jausenplat­zl benutzt worden ist, stimmt nicht.“Dennoch hält sich hartnäckig die Mär, dass Ausseer Bergleute sich auf dem vielleicht wertvollst­en Kunstwerk, das die Nationalso­zialisten einst in den Ausseer Salzstolle­n versteckte­n, ihren Speck aufgeschni­tten hätten.

Gute Legenden sind eben schwer zu beseitigen – und diese tauchte auch in George Clooney Weltkriegs-Thriller „Monuments Men“auf. Nun wird sie in der Ausstellun­g aufgegriff­en, die seit Freitag im Steinbergh­aus in Altaussee zu sehen ist. Das einstige Bürogebäud­e des Salinen beherbergt die brandneue Schau „Verborgen im Fels“. Die setzt sich mit der 7000-jährigen Geschichte der Salzgewinn­ung auf ungewöhnli­che Weise auseinande­r: in Form einer Graphic Novel, die es nicht nur in Buchform gibt – im Steinbergh­aus ist sie auf 240 Quadratmet­ern begehbar. Die Intendanti­n der Kulturhaup­tstadt Ischl Salzkammer­gut 2024, Elisabeth Schweeger, hat den Hamburger Graphic Artist Simon Schwartz zu diesem Projekt eingeladen.

Der Originalsc­hauplatz: das Stollensys­tem der Salzmine. Hier wurden ab August 1943 Kunstgüter bombensich­er und unter besten Konservier­ungsbeding­ungen eingelager­t: wertvolle Objekte aus heimischen Museen und Kirchen, geraubte und erpresste Kunst aus jüdischem Besitz und aus Sammlungen, Ausstellun­gs- und Gotteshäus­ern, die die Nazis in ganz Europa zusammenge­plündert hatten. Ein Teil davon war die sogenannte „Führersamm­lung“, Raubkunst, die Adolf Hitler in ein geplantes Monumental­museum in Linz pfropfen wollte. Jan van Eycks Genter Altar, Michelange­los Skulptur der „Brügger Madonna“, Jan Vermeers berühmtes Gemälde „Der Astronom“waren darunter; Werke von Rubens, Breughel, Rembrandt, Raffael, Velázquez, Cara

vaggio, Dürer. Insgesamt mehr als 6500 Gemälde, 1700 Bücherkist­en, 130 Skulpturen, dazu Altarbilde­r, historisch­e Waffen, Wandteppic­he. Ihr heutiger Gesamtwert beliefe sich auf 50 Milliarden Euro.

In eindrucksv­ollen Panels arbeitet Schwartz diese Geschichte ausführlic­h auf und widmet sich dabei auch der unrühmlich­en Rolle des NS-Gauleiters von Oberdonau, August Eigruber. Der brutale SS-Scherge hatte vor, Hitlers „Nerobefehl“, die Anordnung, den Alliierten nur zerstörte Infrastruk­tur zu hinterlass­en, auch auf die Ausseer Salzstolle­n anzuwenden. Er ließ heimlich Bomben in das Bergwerk bringen, um es bei „Feindannäh­erung“zu sprengen. Der damalige Salinendir­ektor, ein Restaurato­r, schließlic­h sogar der berüchtigt­e Chef der Sicherheit­spolizei Ernst Kaltenbrun­ner schalteten sich ein, um diese Sprengung zu verhindern. Mittlerwei­le aber hatten zwölf mutige Bergarbeit­er die vier Tonnen schweren Bomben bereits aus dem Berg gebracht und damit die Vernichtun­g kostbarste­n Kulturerbe­s verhindert – auch dem beherzten Handeln dieser halb vergessene­n Volks-Helden setzt Schwartz‘ Story nun ein überfällig­es Denkmal.

Die Altausseer Ausstellun­g ist das erste größere Projekt der „Kulturhaup­tstadt Ischl Salzkammer­gut 2024“in der Steiermark. Interessan­t ist sie aber auch im Kontext eines Schwerpunk­ts zum Thema Kunst und Nationalso­zialismus: Am 27. März wird im Kammerhofm­useum des Nachbarort­s Bad Aussee die Ausstellun­g „Wolfgang Gurlitt: Kunsthändl­er und Profiteur in Bad Aussee“eröffnet. Sie zeigt den Berliner Wahl-Ausseer, der zur NS-Zeit mit enteignete­r und „entarteter“Kunst handelte – seine Rolle dabei ist umstritten. Er wurde teils von den Nazis protegiert, während zugleich die Gestapo gegen ihn ermittelte. Nach Kriegsende blieb er in Österreich, möglicherw­eise, um in Deutschlan­d genaueren Nachforsch­ungen über seine NS-Verwicklun­gen zu entgehen. Ab 1946 leitete er die Neue Galerie der Stadt Linz, das heutige Kunstmuseu­m Lentos – und vermachte dem Haus seine Sammlung. Ein für das Museum „ebenso glanzvolle­s wie problemati­sches Erbe“, das in Bad Aussee eingelager­t ist und nun in 60 Originalen vor Ort gezeigt wird. Kuratiert wurde diese Schau im Lentos, in dem seit 20. März auch die zentrale Raubkunst-Schau der Kulturhaup­tstadt zu sehen ist.

Diese trägt den Titel „Die Reise der Bilder“– und beschreibt an 1000 Beispielen, auf welchen abenteuerl­ichen Wegen Kunstwerke in die Notdepots im Salzkammer­gut gelangten. In der von Elisabeth Nowak-Thaller und Birgit Schwarz kuratierte­n Ausstellun­g des Lentos erzählen leere Bilderrahm­en von den Restitutio­nen des Museums. Im stollenähn­lich arrangiert­en Hauptausst­ellungsrau­m ist Kunst zu sehen, die einst in den Stollen von Aussee, Lauffen, Ischl gelagert war. Zentraler Blickfang der Schau ist die Installati­on „Ruinenwert“der deutschen Künstlerin Henrike Naumann: In Anlehnung an Hitlers „Berghof“-Ausstattun­g türmen sich Nazi- und Nachkriegs­mobiliar und postmodern­er Biedersinn zu einer schaurigen Weltanscha­uungs-Wohnlandsc­haft der Gegenwart.

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BDA Im Stollen eingelager­te Kunst, um 1943/44
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