„Wir drei stehen nicht auf der Liste“
Sie haben sich viel Zeit gelassen für das erste Interview, mehr als die üblichen 100 Tage. Warum eigentlich so zurückhaltend? JOHANNES BRUCKENBERGER:
Der Grund war, dass die ersten 100 Tage für uns sehr viel Arbeit waren und wir uns zuerst intern der Redaktion widmen wollten, nicht der Außendarstellung und den Medien. Wir sind ja mitten in einem Transformationsprozess.
GABRIELE WALDNER: Küchenpsychologische Antwort: Wir sind alle drei nicht eitel genug, dass wir uns vordrängeln.
Dazu passt Ihre jeweilige Zurückhaltung auf Social Media. Woran liegt das?
SEBASTIAN PROKOP: Ich sehe mich als Chefredakteur nicht in einer Rolle, dass ich selbst ein Medium bin, das Breaking News twittert oder einordnet, analysiert. Dafür haben wir Produkte, wir haben Persönlichkeiten, wir haben gut verteilte Kompetenzen in unseren Redaktionen, die das machen.
WALDNER: Ich glaube auch, wenn man Social Media gut machen will, nimmt das viel Zeit in Anspruch. Und diese Zeit habe ich schlicht nicht.
Frau Waldner, Sie forderten 2017 Journalisten und Journalistinnen zu mehr Zurückhaltung und „weniger Ego“auf Social Media auf. Wie sehen Sie das denn heute? WALDNER:
Ich halte Social Media für relevant und wichtig. Ich kann absolut akzeptieren, wenn Journalistinnen und Journalisten sagen, das sei ein tolles Tool für das Eigenmarketing. Es sollte nur immer im Rahmen bleiben und man sollte tunlichst versuchen, nicht sich selbst, das Medium, für das man arbeitet, oder die Branche zu beschädigen. Leider beobachte ich nach wie vor, dass nicht alle sich so verhalten, wenn etwa Journalistinnen und Journalisten auf Social Media aufeinander einschlagen.
Bald werden die Gehaltslisten der ORF-Topverdiener offengelegt. Wie sehen Sie, als mutmaßlich jemand, der auf dieser Liste zu finden sein wird, diese Transparenzmaßnahme?
BRUCKENBERGER: Transparenz ist grundsätzlich in Ordnung. Ich finde, wenn, dann sollte man es aber für den gesamten öffentlich-rechtlichen Bereich machen, inklusive Verwaltung oder anderer Unternehmen, wo es Beteiligungen des Staates oder von Gebietskörperschaften gibt. Bei der namentlichen Nennung bin ich mir nicht sicher, ob man sich da etwas Gutes tut. Aber: Wir sind öffentlich finanziert und ich finde, das Publikum hat ein Recht auf Transparenz und
darauf, dass wir mit den Einnahmen aus den ORF-Beiträgen sorgsam und achtsam umgehen. Übrigens: Wir drei stehen nicht auf der Liste.
Zuletzt wurde viel über die angebliche Degradierung von Hans Bürger, ehemaliger InnenpolitikChef des ORF, berichtet. Wie geht es mit ihm weiter?
BRUCKENBERGER: Ich finde es abenteuerlich, was da draußen teilweise passiert. Wir haben das Phänomen, dass der ORF immer wieder aus Teilen der Politik attackiert wird, um unsere Glaubwürdigkeit zu unterminieren. Wir stehen auch einer in Teilen feindseligen Medienlandschaft gegenüber, die aus Konkurrenzgründen
jedes Thema, das aufpoppt, zu einem Skandal hochstilisiert. Zu Hans Bürger: Er ist ein ausgezeichneter, hochverdienter Journalist dieses Hauses, er war 30 Jahre lang in der Innenpolitik, an führender Stelle. Ich glaube, da ist es legitim zu sagen, man macht einmal etwas Neues. Demnächst wird er auch als Podcaster in Erscheinung treten, zur EU-Wahl. Ja, wir erfinden Hans Bürger noch einmal neu im ORF. Das ist, finde ich, eine gute Sache.
WALDNER: Meine Philosophie ist es auch, wegzugehen vom Konzept „Ein Mann erklärt die ganze Welt“. Wir haben tolle SeniorEditor-Frauen, Kolleginnen, die seit Jahrzehnten innenpolitische Berichterstattung machen. Und wir haben jüngere Kolleginnen und Kollegen, die das ebenso gut können. Die werden stärker in Erscheinung treten.
Könnten Sie jeweils ein Kernprojekt Ihres ersten Jahres in der Chefredaktion skizzieren?
BRUCKENBERGER: Das Wichtigste ist das Superwahljahr. Da geht es darum, eine hochqualitative, gute Berichterstattung abzuliefern. Quer durch die Sendungen, Kanäle, Ressorts. Das so umzusetzen, dass es unserem Wertekonstrukt entspricht – nämlich unabhängigen, objektiven, faktenbasierten, kritischen Qualitätsjournalismus zu liefern und damit hohe
Zu den Personen
Johannes Bruckenberger, geb. 1968 in Bad Ischl, ab 1994 freier Mitarbeiter bei der Austria Presseagentur. Ab 2019 war er APA-Chefredakteur. Als ORF-Chefredakteur ist er u. a. für „Zeit im Bild“und die Journale zuständig. Gabriele Waldner-Pammesberger, geb. 1969 in Dellach in Kärnten. Ab 1996 beim ORF, zunächst beim Radio, später auch beim Fernsehen („Sommergespräche“, „Report“u. a.). Als Chefredakteurin verantwortet sie die multimedialen Fachressorts Innenpolitik, Außenpolitik, Wirtschaft, Chronik.
Sebastian Prokop, geb. 1974 in Innsbruck. Ab 1997 Redakteur bei ORF Tirol, ab 1998 Chef vom Dienst in der ORF-RadioNachrichtenredaktion, 1999 stellvertretender Infochef bei Ö 3. Als Chefredakteur leitet er (weiterhin) den Newsdesk, in seinen Bereich fallen u. a. Breaking News, Social Media und orf.at.
Publikumsakzeptanz zu erreichen und auf dieses Gesamtziel eines „ORF für alle“auch mit der Information einzuzahlen.
WALDNER: Ich bin zuständig für die Fachressorts und da ist es mein erklärtes Jahresziel, dass ich diese fünf Fachressorts – Innenpolitik, Außenpolitik, Wirtschaft, Chronik und Wetter –, die bisher aus verschiedenen Fragmenten bestanden, die für jeweils eine Mediengattung zuständig waren, zu je einem Team entwickle. Damit wir noch bessere Inhalte generieren und noch besser in der Themenführerschaft werden.
PROKOP: Zentrales Projekt ist die Stärkung der Social-MediaAktivitäten im Hinblick auf junge Zielgruppen. Wir werden aber nicht vergessen, auch unsere erfolgreichen Marken im linearen Bereich zu erneuern: in den Radionachrichten etwa. Für dieses Publikum geht es weniger darum, eine Knaller-Innovation zu präsentieren, sondern die Formate up to date zu halten.