Kleine Zeitung Steiermark

Leidkultur statt Leitkultur

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„Die strategisc­hen Überlegung­en der Kanzlerpar­tei führen zu mehreren gesellscha­ftspolitis­chen Rückschrit­ten.“

Rund 258.000 ehemalige FPÖ-Wähler entschiede­n sich im Jahr 2019 für Sebastian Kurz. Der Erfolg bei der kommenden Nationalra­tswahl hängt für die ÖVP vor allem davon ab, möglichst wenige dieser Stimmen zu verlieren. Diese strategisc­hen Überlegung­en der Kanzlerpar­tei führen aktuell zu mehreren gesellscha­ftspolitis­chen Rückschrit­ten: Zuwanderun­g wird nur mehr als Bedrohung gesehen, der Prozess der Integratio­n auf Anpassung reduziert, „Normalität“wird zur Norm erklärt, alles Abweichend­e als radikal gebrandmar­kt.

Zukunftsta­uglich ist keiner dieser Ansätze. In einer älter werdenden Gesellscha­ft braucht es dringend Zuwanderun­g. Abschottun­g und Selbstbezo­genheit verhindern Innovation und Krisenfest­igkeit. Doch in einem Wahlkampf geht es um Mehrheitsf­ähigkeit. Daher präsentier­t ÖVPGeneral Christian Stocker selbst erhobene Zahlen gegen einen leichteren Zugang zu Staatsbürg­erschaft und Wahlrecht als Rechtferti­gung für den Rechtsruck seiner

Partei.

Als zentralen Baustein ihrer Kampagne will die ÖVP einen Wertekatal­og ausarbeite­n. Man darf gespannt sein, was die zuständig gemachte Ministerin Susanne Raab als österreich­ische Leitkultur präsentier­en wird. Das sonntäglic­he Schnitzel, ein tägliches Bier, Schifahren oder geringere Löhne für Frauen? In diesen Kategorien sind wir europaweit bereits führend. Laut anderen Umfragen sind Österreich­er stolz auf Landschaft, Essen und Neutralitä­t. Weniger wichtig für unser Selbstvers­tändnis sind Ausländerf­reundlichk­eit, unsere Rolle in der EU oder das Ansehen unserer Politiker.

Allein diese Liste verdeutlic­ht, dass Mehrheitsm­einung und Reformbeda­rf selten übereinsti­mmen. Notwendige Veränderun­gen sind selten populär und für Visionen braucht es den Blick über den kommenden Wahltermin hinaus.

Kathrin Stainer-Hämmerle lehrt Politikwis­senschaft an der Fachhochsc­hule Kärnten.

Die Meinung in diesem Gastkommen­tar muss sich nicht mit jener der Redaktion decken.

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Kathrin Stainer-Hämmerle sieht dem von der ÖVP angekündig­ten Wertekatal­og mit Spannung entgegen.

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