Kleine Zeitung Steiermark

„Bereiten uns darauf vor, dass es noch schlimmer wird“

Der Steirer Franz Luef war für Ärzte ohne Grenzen in Gaza. Warum er den sozialen Kollaps fürchtet und wie sich NGOs schützen.

-

Nach einem UN-Bericht ist mehr als die Hälfte der zwei Millionen Menschen im Gazastreif­en akut von Hunger bedroht. Was heißt das konkret?

FRANZ LUEF: Das, was nach Gaza kommt, reicht bei Weitem nicht aus. Wir sehen in unseren Kliniken immer mehr unterernäh­rte Kinder, letzte Woche haben wir deswegen 70 Kinder aufgenomme­n und wir bereiten uns darauf vor, dass das noch mehr wird. Aus dem Norden hören wir, dass die Lage noch schlimmer ist.

Hilfsliefe­rungen über den Landweg stocken. Wirken sich See- und Luftbrücke­n spürbar aus?

Jede Hilfe ist momentan enorm wichtig und zu befürworte­n. Eine der Situation angepasste Versorgung ist aber nur über den Landweg möglich. Der Seeweg aus Zypern, aber auch der Abwurf von Hilfsgüter­n aus der Luft kann die kontinuier­liche Versorgung über den Landweg nicht ersetzen. Vor dem Krieg sind zwischen 800 und 1000 LKWs in den Gazastreif­en gelangt. Jetzt kommen knapp 100 bis 150 Ladungen, das sind Volumen, die nicht über den See- oder Luftweg abgedeckt werden können. Neben Nahrung fehlt es aber oft auch dringend an Dingen, an die man vielleicht nicht gleich denkt: Windeln oder Babykleidu­ng, Sachen, die am Markt nicht zur Verfügung stehen oder die unerschwin­glich sind. Das stellt uns vor Herausford­erungen, die wir in der aktuellen Lage nicht bewältigen können.

Wie sicher oder unsicher fühlen Sie sich bzw. ihre Mitarbeite­r als NGO-Angehörige im Gazastreif­en? Wir sind uns der Gefahrenla­ge bewusst, aber wahrschein­lich verdrängt man das auch und hofft, dass die Sicherheit­smaßnahmen wirken. Eine davon ist etwa, die Koordinate­n unserer Einrichtun­gen immer wieder an die Kriegspart­eien zu übermittel­n. Wir weisen immer darauf hin, dass Gesundheit­seinrichtu­ngen nach internatio­nalem Recht geschützt sind, sehen aber auch, dass die Realität oft eine andere ist.

Sind Sie selbst in brenzlige Situatione­n gekommen?

Ein banales Beispiel vom Tag vor meiner Abreise, ein tieffliege­nder Kampfjet hat die Schallmaue­r mit einem explosions­artigen Knall durchbroch­en. Mütter umarmen die Kinder und nehmen sie in Schutz. Instinktiv sucht man irgendwie Schutz und hofft. Das ist nur ein charakteri­stisches Beispiel dafür, was für die Bevölkerun­g derzeit Alltag ist.

Es scheint, dass die Verzweiflu­ng der Bevölkerun­g immer größer wird. Gibt es noch so etwas wie Hoffnung?

Ja. Die Menschen sind resilient, sie hängen an den Nachrichte­nkanälen und klammern sich an jede noch so kleine Meldung, die Besserung verspricht – mich mit eingeschlo­ssen.

Aber die wenige noch positive Energie schwindet, die Aggression­en nehmen zu. Hier habe ich im letzten Monat eine Verschlech­terung bemerkt und ich fürchte, dass das soziale Gefüge irgendwann zu stark strapazier­t wird und auseinande­rbricht. Mit allen Konsequenz­en, was leider nichts Gutes verheißen wird.

Der EU-Außenbeauf­tragte, Josep Borrell, warf Israel vor, Hunger als Waffe einzusetze­n. Ist das eine Aussage, die sich mit Ihren Beobachtun­gen deckt?

Das kann ich nicht beurteilen, aber die Hilfsliefe­rungen werden nicht im notwendige­n Ausmaß zugelassen. Zwei UN-Resolution­en drängen darauf, ausreichen­d humanitäre Hilfe durchzulas­sen, das ist bis jetzt nicht passiert. Es reicht hinten und vorne nicht und die Bevölkerun­g steht vor unmögliche­n Entscheidu­ngen. Das macht das Ganze so katastroph­al.

Gibt es eine Situation, die sich besonders eingeprägt hat?

Eine war, dass man mich als „Franz aus Österreich“bat, zu Hause meinen Freunden und meiner Familie zu berichten, wie die Menschen in Gaza sind, wie die Bevölkerun­g und ihr Leben sind, ich glaube, das sagt viel aus. Das andere war, als mich eine Mitarbeite­rin, um die 30 Jahre alt, bat – wohl wissend, dass es ein unerfüllba­rer Wunsch ist – sie und ihre Kinder mitzunehme­n. Sie sagte, „ich möchte es meinen Kindern nicht antun, so aufwachsen zu müssen.“David Knes

 ?? PHILIPP HORAK ??
PHILIPP HORAK

Newspapers in German

Newspapers from Austria