Berufsalltag zwischen Trauer und Trost
Christian Nesitka (40) ist Bestatter – und damit auch Begleiter, Eventmanager und Ankleider. Der Tod ist für ihn etwas Natürliches.
Der Tod ist unausweichlich. An Tagen wie heute rückt das ins Bewusstsein. Dennoch wird das Thema oft gemieden. „Ich glaube, viele scheuen sich davor, weil sie es sich düster vorstellen. Ich habe keine Angst“, sagt Christian Nesitka. „Egal, woran man glaubt, irgendwas ist da. Ich stelle es mir ,oben‘ entspannt vor.“
Der 40-Jährige setzt sich seinen Hut auf, rückt den Anzug zurecht und nimmt eine Holzurne in die Hand. Wir betreten den Grazer Zentralfriedhof, hinter uns liegt die Filiale von „Pax Bestattung“, wo Nesitka arbeitet. Vor 15 Jahren wechselte er von der Versicherungs- in die Bestattungsbranche. „Als mich mein ehemaliger Chef fragte, ob ich Bestatter werden will, dachte ich: Bist du wahnsinnig? Aber die Arbeit ist schön, ich kann den Job nur empfehlen.“
Am Morgen des Gründonnerstags herrscht Stille am Friedhof, die Sonne strahlt vom Himmel, einzelne Besucher spazieren zu Gräbern, eine Mitarbeiterin gießt den Rasen. Nesitka dreht eine Runde mit uns, „70 Prozent sind inzwischen Feuerbestattungen“, erklärt er. Wir gehen zurück in die Filiale – der Bestatter wird heute zu keiner Abholung gerufen. „Das Geschäft ist nicht vorhersehbar. Nur zwischen November und Februar wissen wir, dass mehr zu tun ist. Das liegt am Winter, an der Einsamkeit …“
Das Gefühl der Einsamkeit ist es, das nach dem Tod auf die Hinterbliebenen übergeht. „Du bist sehr oft Trostspender, spätestens, wenn die Leute die Trauerpate formulieren beginnen“, sagt Nesitka, der die Supervisionen in der Firma schätzt. Geholfen haben ihm auch eine Kriseninterventionsund Hospizausbildung. Der 40-Jährige und seine Kollegen nehmen sich Zeit für die Gespräche mit den Angehörigen. Die erste Frage: Was hat den oder die Verstorbene ausgemacht? So finden sich bei den Verabschiedungen auf den Särgen auch Golfbälle oder Jägerhüte wieder. „Es geht um die Verbindung. Mittlerweile gibt es nichts, was es nicht gibt. Einmal haben wir ein Motorrad aufgestellt.“Es sei schön zu sehen, wie die Menschen sich verabschieden können.
Die Trauerfeierlichkeiten werden dabei momentan kleiner, die „Leute wollen’s persönlich haben“. Wir treten vom hell eingerichteten Verabschiedungsraum in eine Halle, wo Särge erst zusammengebaut werden müssen, vorbei an einem Fitnessraum. „In Form zu bleiben ist wichtig in dem Job“, erklärt der Bestatter. Denn die Abholung des Verstorbenen (von Leiche spricht hier bewusst niemand) gehört dazu. Pax Bestattung hat dabei immer eine Rose im Gepäck, diese legen die Mitarbeiter dorthin, „wo jetzt jemand fehlt“.
Wir bleiben an einem Waschraum stehen, es riecht neutral, die Metallbahre glänzt blitzblank. „Wir waschen die Verstorbenen und ziehen sie an, im Lieblingsgewand, ob Jogginganzug oder Hemd.“Die Särge mit den Verstorbenen wandern in ein Kühllager hinter Drehtüren. Auf einem Whiteboard an diesen stehen Namen in roter Schrift. Unter einem springt ein Zusatzvermerk ins Auge: Baby. Der Bestatter wird ruhig und erzählt von einem Fall, der ihm besonders in Erinnerung blieb.
Damals wird er ins Krankenhaus gerufen zu Eltern – mit Baby. „Sie wollten vorsorgen. Er hatte eine Immunschwäche und sie
wussten, er stirbt bald.“Wenige Monate vergehen, Nesitka wird wieder angerufen. Als er die Wohnung betritt, sieht er den kleinen Leichnam, dahinter eine Fotowand. „Die Eltern haben sich die Zeit genommen und sind mit ihrem kleinen Sohn über Monate hinweg zu allen möglichen Sehenswürdigkeiten gereist. Jetzt lag er da, in einer kleinen Lederhose, mir hat‘s das Herz zerrissen.“Über die Jahre, erklärt der 40-Jährige, würde man feinfühliger werden, aber abbrühen würde man nie.
Schließlich heißt es „Auf Wiedersehen!“, wobei … „Ja, das sagen die Leute nicht so gern zu uns“, lacht Nesitka. „Aber auf einen Kaffee kann jeder gerne vorbeischauen“, fügt er an und meint etwas ernster: „Wir haben auch einen Tag der offenen Tür. Viele sorgen nicht vor, einmal darüber reden wäre gut. Sonst steht man mit rechtlichen oder finanziellen Fragen da.“Wir schütteln uns erneut die Hände, diesmal mit anderer Grußformel. Ein letzter Blick zurück offenbart den Schriftzug über der Tür: Ein Abschied. Ein Licht.