Umstrittenes Standortgesetz als leere Hülle
Wegen der Umgehung von UVP-Verfahren strengte die EU eine Klage gegen die Republik an. Nun wurde diese geschlossen – weil man vom Gesetz nie Gebrauch machte.
Die vorherige, türkis-blaue Regierung hat der Standortpolitik hohe Aufmerksamkeit und ein eigenes Ministerium geschenkt. Ressortchefin Margarete Schramböck (ÖVP) ließ gleich einen Vorschlag ausarbeiten, die Stärkung des Wirtschaftsstandortes als Staatsziel in der Verfassung zu verankern. Wenig später legte sie einen Entwurf für ein Standortentwicklungsgesetz vor. Es wurde Ende 2018 beschlossen.
Das Gesetz sollte die Genehmigung von Großprojekten beschleunigen, indem es einen Weg um Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) herum öffnete. Das jedoch brachte Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren der EU ein. Vier Jahre wurde geprüft und beobachtet, Ende 2023 das Verfahren dann geschlossen.
Das heutige Wirtschaftsministerium bestätigt die Einstellung.
Gründe seien von der Kommission nicht genannt worden. Auf Nachfrage der Kleinen Zeitung in Brüssel wird auf „gesetzliche Maßnahmen“der jetzigen Regierung verwiesen. Explizit wird die Novelle des UVP-Gesetzes genannt, die „praktische Auswirkungen“auf die Beschwerde der EU gehabt habe.
Was ist damit gemeint? Laut Klimaschutzministerium wurde die Einstellung auch damit begründet, dass kein einziges Verfahren in Österreich nach dem umstrittenen Gesetz durchgeführt wurde. Die EU-Kommission werde aber beobachten, ob dies auch so bleibt, heißt es weiter. Das Wirtschaftsministerium bestätigt, dass das Standortentwicklungsgesetz nie zur Anwendung kam. Es habe lediglich eine Einreichung gegeben, die aus formalen Gründen „nicht behandelt werden konnte“.
Den ersten Entwurf des Gesetzes hatte der Verwaltungsrechtler Peter Bußjäger damals als
verfassungsrechtlichen Hattrick befunden: „Es verstößt gegen das Rechtsstaatsprinzip, gegen das Sachlichkeitsprinzip, gegen das Gleichheitsprinzip und ist unionsrechtswidrig.“Denn vorgesehen war, dass „standortrelevante Projekte“automatisch als genehmigt gelten, wenn UVP-Verfahren länger als ein Jahr dauern.
Der Entwurf wurde abgeschliffen, doch auch beim Beschluss im Dezember 2018 gingen Juristen davon aus, dass er sich mit der EU-Richtlinie zur Umweltverträglichkeit kaum in Einklang bringen lässt. Die sich daraus ergebende Rechtsunsicherheit könnte auch der Grund dafür sein, weshalb es in vier Jahren nur einen einzigen (formwidrigen) Antrag auf Prüfung einer Standortrelevanz gab.
Immerhin verursachte das Standortentwicklungsgesetz deshalb auch keine Kosten. Geplant war sogar eine eigene Geschäftsstelle mit vier Bediensteten und
Kosten von rund 350.000 Euro pro Jahr. Doch die Stelle im Wirtschaftsministerium wurde nie eingerichtet und auch kein zusätzliches Personal aufgenommen. Das Staatsziel kam ebenso wenig, weil Türkis-Blau keine Zweidrittelmehrheit fand.
Der Treppenwitz: Mittlerweile hat auf EU-Ebene ein Umdenken stattgefunden. Der Erneuerbaren-Ausbau wurde infolge der Energiekrise zum „überragenden öffentlichen Interesse“erklärt, im Oktober dazu auch eine neue Richtlinie („Red III“) beschlossen. Projekte zur Energiewende müssen zwar auch künftig eine UVP durchlaufen, es gibt also keine Abkürzung wie im Standortentwicklungsgesetz, doch bei der Interessenabwägung in diesen Verfahren werden Klima-Argumente nun stärker gewichtet. Bis 21. Mai 2025 muss die Richtlinie in nationales Gesetz übernommen werden. Auch in Österreich. „Die Vorbereitungen laufen“, heißt es aus dem Klimaschutzministerium.