Warum plötzlich die Pressefreiheit in Gefahr ist
Die Regierung muss ein vom Höchstgericht aufgehobenes Gesetz reparieren. Unter dem Deckmantel des Datenschutzes könnte das Redaktionsgeheimnis ausgehebelt werden.
1 Warum wird in Verlegerund Journalistenkreisen befürchtet, dass die Pressefreiheit in Österreich in Gefahr ist?
ANTWORT: Die türkis-grüne Bundesregierung muss bis Ende Juni ein Gesetz reparieren, das Medien von den Bestimmungen des Datenschutzgesetzes (DSG) komplett ausnimmt. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hatte im Dezember 2022 die bestehende Regelung aufgehoben und angemahnt, dass die Medienfreiheit mit dem Grundrecht auf Datenschutz in Einklang zu bringen sei. Der Regierung wurde eine achtzehnmonatige Übergangsfrist eingeräumt. Nun wird die Zeit knapp. Der Ball liegt bei Justizministerin Alma
Zadić (Grüne), die einen Vorschlag erarbeitet hat, der auf heftige Kritik stößt.
2 Man hört oft vom „Medienprivileg“. Welche Vorteile werden Medienunternehmen eingeräumt?
ANTWORT: Der Begriff ist irreführend. Vielmehr geht es darum, dass das Redaktionsgeheimnis nicht ausgehebelt wird – im Interesse von Bürgerinnen und Bürgern, die ein eminentes Interesse daran haben, dass Missstände aufgedeckt werden.
3 Wen schützt das Redaktionsgeheimnis?
ANTWORT: Das Redaktionsgeheimnis schützt nicht Journalisten, sondern Informanten, Gesprächspartner, Vertrauensleute, die Medien über dubiose Vorgänge, echte Skandale, aufklärungswürdige Ungereimtheiten informieren, aber nicht genannt, also anonym bleiben wollen.
Viele Enthüllungen im Bereich der Kommunal-, Landes-, Bundespolitik, der Wirtschaft (René Benko), Kultur (Florian Teichtmeister), im öffentlichen Bereich wurden von Informanten angestoßen.
4 Heißt es, dass der Verfassungsgerichtshof dem Redaktionsgeheimnis einen Riegel vorschieben will?
ANTWORT: Nein. Die Angelegen- heit ist subtiler. Die Befürchtung ist, dass jeder, über den recherchiert oder berichtet wird, unter Berufung auf den Datenschutz
Zeitungen, Zeitschriften, Radios, TV-Sender dazu zwingen könnte, gesammelte Daten und Informationen herauszurücken und zu löschen. Das würde vor allem dem Investigativjournalismus den Todesstoß verpassen. Die Datenschutzbestimmungen gelten für alle Unternehmen, die personenbezogene Daten verarbeiten. Sie räumen den Betroffenen ein umfassendes Auskunftsrecht ein, die Unternehmen müssen ihre Daten offenlegen und im Ernstfall auch löschen.
5 Was sieht der neue Entwurf der Justizministerin nun konkret vor?
ANTWORT: Die Justizministerin beteuert zwar, sie rüttle nicht am Redaktionsgeheimnis und am Quellenschutz. Juristen befürchten allerdings, dass vertrauliche Daten über die Hintertüre herausgegeben werden müssen. Im Zweifelsfall soll die im Justizministerium angesiedelte, allerdings weisungsfreie Datenschutzbehörde darüber entscheiden, ob sensible Informationen herausgerückt wer
den müssen. Das Ministerium will außerdem Blogger oder Bürgerjournalisten nicht diesen Schutz angedeihen lassen.
6 Was ist, wenn die Regierung keine Entscheidung fällt?
ANTWORT: Nikolaus Forgó, Professor für Digitalisierung und Datenschutz an der Uni Wien, meinte kürzlich in einem Gastkommentar in der „Presse“, Österreich würde dann „von einem Extrem – fast komplette Verdrängung des Datenschutzes im Medienbereich – in das andere Extrem – fast komplette Verdrängung der Informationsund Meinungsfreiheit“– kippen. Auch stellte er die Frage, wie Investigativjournalismus künftig funktionieren soll, „wenn der, gegen den recherchiert wird, Auskunft zur Recherche verlangen, dieser widersprechen und eine Löschung beantragen könnte.“
7 Was sagen Juristen dazu?
ANTWORT: Der neue Präsident des Obersten Gerichtshofs, Georg Kodek, hob jüngst in der
ZiB 2 die Bedeutung der „Medienfreiheit als ganz wichtiges Grundrecht“hervor. „Medien erfüllen in einer demokratischen Gesellschaft gerade für den Rechtsstaat eine fundamentale Rolle“, sie würden ohnehin nicht im rechtsfreien Raum agieren. Es gebe andere Grundrechte, die der Gesetzgeber schützen müsse. Könnte jeder Auskunft von Journalisten verlangen, woher sie Infos haben, wäre der Quellenschutz total unterlaufen. „Das kann es nicht sein“, so Kodek.
8 Und was hat das alles mit dem Zitierverbot zu tun?
ANTWORT: Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun, dem Vernehmen nach hat allerdings die ÖVP die Zustimmung zu einer Novellierung des Datenschutzgesetzes mit dem Wunsch nach einem Zitierverbot aus Ermittlungsakten verknüpft. Deutschland kennt eine solche Regelung. Die völlig sachfremde Junktimierung der beiden Bereiche gefährdet eine zeitgerechte Beschlussfassung.