Kleine Zeitung Steiermark

Zornige Bilanz eines Arztes: Ordinieren auf eigene Rechnung

Nach 31 Berufsjahr­en als praktische­r Arzt skizziert Andreas Rieckh die Schwachste­llen des Gesundheit­ssystems in Österreich. Ein Blick zurück im Zorn.

- Von Thomas Götz

Der Beruf ist schön“ist der erste Satz, den Andreas Rieckh in seiner ehemaligen Ordination in der Grazer Heinrichst­raße formuliert. Im Nebenzimme­r empfängt Tochter Magdalena Deixelberg­erRieckh Patienten, während ihr Vater über die Schattense­iten seines Berufs erzählt.

„Was nicht schön ist, ist das System, das auf Zeit und Druck aufgebaut ist. Man hat viel zu wenig Zeit“, sagt Rieckh. Dass er sich seinen Patienten intensiver widmen konnte, lag an seinem zweiten Einkommen als Betriebsar­zt. Ein Drittel seiner 60Stunden-Woche wandte er für den Zweitberuf auf, zwei Drittel auf die Ordination. Bezahlt wurde im umgekehrte­n Verhältnis. „Wir rechnen damit, dass ein Praktiker nicht länger als drei Minuten für einen Patienten braucht“, habe ihm einmal ein Jurist der Gebietskra­nkenkasse offenbart. Danach bemisst sich die Entlohnung. Wer länger braucht, tue das quasi auf eigene Rechnung, sagt Rieckh. Das Gespräch, die Prävention, komme dabei komplett unter die Räder, ebenso wie zeitaufwän­dige Behandlung­en oder eine menschlich­e Sterbebegl­eitung.

Viel Zeit brauche die Bürokratie, zwei Drittel wären vermeidbar. Etwa durch die Abschaffun­g der Genehmigun­gspflicht für ausgewählt­e Medikament­e. „Wir verschreib­en ja nichts, was der Patient nicht braucht“, so Rieckh. Auch die Limits für ausgewählt­e Leistungen stellt Rieckh in Frage. „Therapeuti­sche Aussprache­n darf ich nur für 15 Prozent meiner Patienten aufschreib­en. Was ich darüber hinaus mache, wird nicht honoriert.“Tatsächlic­h würde ein Viertel oder gar ein Drittel seiner Patienten solche Gespräche brauchen. „Ich sehe es nicht als unsere Aufgabe an, nur zu verschreib­en und sonst nichts zu tun.“

Rieckhs Einwände gegen die Umsetzung der Kassenrefo­rm sind vielfältig: „Vernünftig wäre es, alle Kassen zusammenzu­fassen, mit einem einheitlic­hen und modernen Leistungsk­atalog.“In Wirklichke­it aber habe sich nicht viel geändert. „Nach wie vor verhandelt die Ärztekamme­r für jedes Bundesland mit den Gesundheit­skassen Jahr für Jahr Tarife und Leistungsk­ataloge, wie früher“, kritisiert der Praktiker. Auch die Angleichun­g der Leistungen zwischen den Bundesländ­ern gebe es nach wie vor nicht, für Patienten nur teilweise. Was bleibt von der Reform? „Der Name“, antwortet Rieckh. „Die Reform ist komplett schiefgela­ufen.“Lediglich der jährliche Wechsel des Vorsitzes im Hauptverba­nd von Arbeitnehm­ern zu Arbeitgebe­rn und zurück scheine reibungslo­s zu funktionie­ren. Kritik übt der Arzt auch am eCard-System. So wie sie derzeit eingesetzt werde, diene sie der Überwachun­g der Ärzte. Den Einwand, die Möglichkei­ten des Systems würden auch von Ärzten nicht immer zum Nutzen der Patienten eingesetzt, kontert er mit Kritik an der Software. Die sei so unpraktika­bel und zeitaufwän­dig, dass die möglichen Vorteile des Systems nicht zum Tragen kommen könnten. „Auch das wäre Aufgabe des Hauptverba­nds.“

Er nehme seine Berufsgrup­pe aber von der Kritik nicht aus. „Innerhalb der Ärzteschaf­t ist der Stellenwer­t der Allgemeinm­ediziner sehr gering, was deprimiere­nd sein kann“, sagt Rieckh, der sich manchmal nur noch als „Systemerha­lter“wahrgenomm­en fühlt. Wenig Hilfe kam und kommt von der eigenen Standesver­tretung, der Ärztekamme­r. In der Kammer interessie­re man sich kaum für die Sorgen der „Niedergela­ssenen“.

Als Hauptfehle­r im Gesundheit­ssystem Österreich­s sieht er jedoch den fehlenden Blick auf das Ganze: „Es wird nicht volkswirts­chaftlich gedacht, jeder denkt an sich, die Kosten werden hin- und hergeschob­en.“Rieckh schließt versöhnlic­h: „Im Vergleich mit anderen Ländern ist das System in Österreich trotzdem nicht so schlecht. Aber es könnte besser sein, auch zu den gleichen Kosten, davon bin ich zutiefst überzeugt.“

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ADOBE STOCK, KK Das Wartezimme­r ist voll, das so wichtige Gespräch mit Patienten kommt zu kurz, so Andreas Rieckh
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Allgemeinm­ediziner Andreas Rieckh

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