Zornige Bilanz eines Arztes: Ordinieren auf eigene Rechnung
Nach 31 Berufsjahren als praktischer Arzt skizziert Andreas Rieckh die Schwachstellen des Gesundheitssystems in Österreich. Ein Blick zurück im Zorn.
Der Beruf ist schön“ist der erste Satz, den Andreas Rieckh in seiner ehemaligen Ordination in der Grazer Heinrichstraße formuliert. Im Nebenzimmer empfängt Tochter Magdalena DeixelbergerRieckh Patienten, während ihr Vater über die Schattenseiten seines Berufs erzählt.
„Was nicht schön ist, ist das System, das auf Zeit und Druck aufgebaut ist. Man hat viel zu wenig Zeit“, sagt Rieckh. Dass er sich seinen Patienten intensiver widmen konnte, lag an seinem zweiten Einkommen als Betriebsarzt. Ein Drittel seiner 60Stunden-Woche wandte er für den Zweitberuf auf, zwei Drittel auf die Ordination. Bezahlt wurde im umgekehrten Verhältnis. „Wir rechnen damit, dass ein Praktiker nicht länger als drei Minuten für einen Patienten braucht“, habe ihm einmal ein Jurist der Gebietskrankenkasse offenbart. Danach bemisst sich die Entlohnung. Wer länger braucht, tue das quasi auf eigene Rechnung, sagt Rieckh. Das Gespräch, die Prävention, komme dabei komplett unter die Räder, ebenso wie zeitaufwändige Behandlungen oder eine menschliche Sterbebegleitung.
Viel Zeit brauche die Bürokratie, zwei Drittel wären vermeidbar. Etwa durch die Abschaffung der Genehmigungspflicht für ausgewählte Medikamente. „Wir verschreiben ja nichts, was der Patient nicht braucht“, so Rieckh. Auch die Limits für ausgewählte Leistungen stellt Rieckh in Frage. „Therapeutische Aussprachen darf ich nur für 15 Prozent meiner Patienten aufschreiben. Was ich darüber hinaus mache, wird nicht honoriert.“Tatsächlich würde ein Viertel oder gar ein Drittel seiner Patienten solche Gespräche brauchen. „Ich sehe es nicht als unsere Aufgabe an, nur zu verschreiben und sonst nichts zu tun.“
Rieckhs Einwände gegen die Umsetzung der Kassenreform sind vielfältig: „Vernünftig wäre es, alle Kassen zusammenzufassen, mit einem einheitlichen und modernen Leistungskatalog.“In Wirklichkeit aber habe sich nicht viel geändert. „Nach wie vor verhandelt die Ärztekammer für jedes Bundesland mit den Gesundheitskassen Jahr für Jahr Tarife und Leistungskataloge, wie früher“, kritisiert der Praktiker. Auch die Angleichung der Leistungen zwischen den Bundesländern gebe es nach wie vor nicht, für Patienten nur teilweise. Was bleibt von der Reform? „Der Name“, antwortet Rieckh. „Die Reform ist komplett schiefgelaufen.“Lediglich der jährliche Wechsel des Vorsitzes im Hauptverband von Arbeitnehmern zu Arbeitgebern und zurück scheine reibungslos zu funktionieren. Kritik übt der Arzt auch am eCard-System. So wie sie derzeit eingesetzt werde, diene sie der Überwachung der Ärzte. Den Einwand, die Möglichkeiten des Systems würden auch von Ärzten nicht immer zum Nutzen der Patienten eingesetzt, kontert er mit Kritik an der Software. Die sei so unpraktikabel und zeitaufwändig, dass die möglichen Vorteile des Systems nicht zum Tragen kommen könnten. „Auch das wäre Aufgabe des Hauptverbands.“
Er nehme seine Berufsgruppe aber von der Kritik nicht aus. „Innerhalb der Ärzteschaft ist der Stellenwert der Allgemeinmediziner sehr gering, was deprimierend sein kann“, sagt Rieckh, der sich manchmal nur noch als „Systemerhalter“wahrgenommen fühlt. Wenig Hilfe kam und kommt von der eigenen Standesvertretung, der Ärztekammer. In der Kammer interessiere man sich kaum für die Sorgen der „Niedergelassenen“.
Als Hauptfehler im Gesundheitssystem Österreichs sieht er jedoch den fehlenden Blick auf das Ganze: „Es wird nicht volkswirtschaftlich gedacht, jeder denkt an sich, die Kosten werden hin- und hergeschoben.“Rieckh schließt versöhnlich: „Im Vergleich mit anderen Ländern ist das System in Österreich trotzdem nicht so schlecht. Aber es könnte besser sein, auch zu den gleichen Kosten, davon bin ich zutiefst überzeugt.“