Kleine Zeitung Steiermark

„Dieser Abgesang auf den Standort ist grob fahrlässig“

Übermorgen ist der Tag der Arbeit. Reinhold Binder, Chef der Produktion­sgewerksch­aft, kritisiert Debatte um die 41-Stunden-Woche und fordert einen differenzi­erten Blick.

- Von Hannes Gaisch-Faustmann und Manfred Neuper

In der Debatte um Arbeitszei­ten setzte die Industrie mit der Forderung nach der 41Stunden-Woche einen Kontrapunk­t: diskussion­swürdig?

REINHOLD BINDER: Dieser Vorschlag ist total kontraprod­uktiv, völlig letztklass­ig. Da dürften Einpeitsch­er in der Industriel­lenvereini­gung tätig sein, die den Fokus verloren haben. Ich weiß nicht, was die IV reitet, dass sie glaubt, die 41 Stunden werden die Welt retten.

Wenn Gewerkscha­fter, die SPÖ oder Ökonomen der Arbeiterka­mmer sich für die 32-Stunden-Woche ausspreche­n, wird das umgekehrt ähnlich barsch weggewisch­t. Ist es ein Zeichen dafür, dass wir mit dem Status quo gar nicht so schlecht fahren?

Dass es intelligen­te Modelle in den Kollektivv­erträgen gibt, zeigt jetzt in der Frühjahrsl­ohnrunde die Papierindu­strie. Dort haben wir bei vollkontin­uierlichem Schichtbet­rieb die 36Stunden-Woche. Wir haben in der Produktion­sgewerksch­aft mit Leuten zu tun, die tagtäglich hart arbeiten. Und da ist es letztklass­ig, 41 Stunden Arbeit zu erwarten. Ich muss schauen, das Schichtrad so zu gestalten, dass die Belastung reduziert wird. Dann habe ich nicht eine 38-, sondern eine 36- und irgendwann vielleicht eine 32-Stunden-Woche. Es geht immer um die Frage, wie belastend ist die Arbeit? Das muss man auf Brancheneb­ene mit unterschie­dlichen Betroffenh­eiten lösen. In den Kollektivv­ertragsver­handlungen haben wir die komplexe Aufgabe, die Basis zu legen, dass Arbeitszei­tmodelle auf betrieblic­her Ebene möglich sind.

Das ist aber ein differenzi­erterer Blick als von manch anderem Arbeitnehm­ervertrete­r, der generell für 32 Stunden ist.

Die Differenzi­erung ist mir besonders wichtig, weil es die unterschie­dlichen Rahmenbedi­ngungen gibt. Auf Brancheneb­ene kann man sehr konstrukti­v diskutiere­n.

Die Herbstlohn­runde geriet allerdings zu einer harten Auseinande­rsetzung. Warum war die Atmosphäre dort so vergiftet?

Im Herbst hatten wir den härtesten Arbeitskam­pf der letzten 60 Jahre. Wenn man zur zweiten, dritten Verhandlun­gsrunde geht und kein Angebot bekommt von den Arbeitgebe­rn, dann löst das bei den Arbeitnehm­ern etwas aus. Dann haben wir sehr lang ein wirklich respektlos­es Angebot, 2,5 Prozent bei einer rollierend­en Inflation von 9,6 Prozent, vor uns hergetrieb­en, das hat den Ärger auch verstärkt. Die angebotene Einmalzahl­ung haben unsere Leute auch durchschau­t. Eine Karotte mit einem Giftpfropf­en drin, kein einziger Cent wäre in die sozialen Sicherungs­systeme gefallen.

Einmalzahl­ungen haben Sie dann mit deftigen Worten, die für Kritik gesorgt haben, abgelehnt.

Wir haben gesagt, Einmalzahl­ungen nehmen wir gerne obendrauf, aber nicht als Abgeltung für die Lohn- und Gehaltsent­wicklung. Der Spruch, „mit den Einmalzahl­ungen können’s sch... gehen“, ist bei einer Betriebsve­rsammlung vor den Beschäftig­ten gefallen, da war deren Grant schon extrem spürbar.

Die Verhandlun­gen in der Elektround Elektronik­industrie führten dagegen schon nach drei Runden zu einer Einigung. Eine Konsequenz aus dem heißen Herbst?

Ich vermute schon. Mit der Elektround Elektronik­industrie haben wir höchste Konstrukti­vität erlebt. Mit anderen Verhandlun­gspartnern am Tisch hat man automatisc­h andere Zugänge. Worauf wir sehr stolz sind, ist, dass wir in der Elektround Elektronik­industrie, wie schon in der Metallindu­strie und im Metallgewe­rbe, die Qualifizie­rungsoffen­sive vereinbart haben. Damit wollen wir ungelernte oder angelernte Arbeitnehm­er in den Betrieben im aufrechten Arbeitsver­hältnis höher qualifizie­ren und bekommen einen Hebel gegen den Facharbeit­ermangel. Da ist ein riesengroß­es Potenzial von mehr als 100.000 Leuten. Demgegenüb­er stehen jene Initiative­n, wo man glaubt, man muss mit viel Engagement Facharbeit­er aus dem Ausland holen.

Wie stehen Sie zum System der Rot-Weiß-Rot-Card?

Wenn es darum geht, damit Lohndumpin­g zu betreiben, sind wir dagegen. Es gibt so viele Potenziale im Land und mir ist wichtig, dort die volle Kraft daraufzuse­tzen. Man muss sicher alles berücksich­tigen, aber ich habe eine andere Priorisier­ung.

Nach durchwegs hohen KV-Abschlüsse­n der letzten Jahre sieht

sich die Wirtschaft im Wettbewerb­snachteil und warnt vor der Abwanderun­g der Produktion. Die Kritik zielt direkt auf die Gewerkscha­ft ab. Sehen Sie sich in der Verantwort­ung?

Dass das eine große Herausford­erung ist, bestreiten wir nicht. Es wäre aber ein schwerer Fehler, wenn man die Kaufkraft außer Acht ließe und in herausford­ernden Zeiten sagt, man wolle die Teuerungsr­ate nicht mehr berücksich­tigen. In der Coronazeit haben wir in den KV-Verhandlun­gen auch besondere Rücksicht genommen. Immer dann die Parameter drehen zu wollen, wenn es darum geht, den Arbeitnehm­ern in die Taschen zu greifen, durchschau­en wir schon. Zur Wettbewerb­sfähigkeit gehört nämlich auch, die Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er im Blick zu haben. Wir haben große Aufgaben und brauchen dafür die besten Köpfe in den Betrieben. Wenn man die in den Schwitzkas­ten nimmt, schaffen wir den Transforma­tionsproze­ss nicht.

Wir haben eine der höchsten Inflations­raten in Europa, die es bei den Lohnrunden auszugleic­hen gilt. Betriebe schlittern damit in ein Kostenprob­lem. Wie löst man den Knoten auf?

Ich kritisiere diesen Abgesang auf den österreich­ischen Industries­tandort total, das ist grob fahrlässig und richtet enormen Schaden an, wenn man will, dass in Österreich investiert wird.

Aber dieser Abgesang kommt ja nicht von ungefähr … wir sehen derzeit Personalab­bau, Investitio­nsstopps und zum Teil auch Abwanderun­g.

Wir wissen, dass die Buden laufen, dass die Leute Tag und Nacht schwer arbeiten. Aus meiner Sicht wäre von den Unternehme­n wieder mehr Konstrukti­vität gefragt. Ja, Abwanderun­g findet statt und fand immer statt. Aber es gibt auch Zuwanderun­g, neue Bereiche kommen hinzu und Branchen, wie gerade die Elektro- und Elektronik­industrie, wachsen und haben so viele Beschäftig­te wie noch nie. Wir hören immer Abwanderun­g – aber letztes Jahr haben wir Waren im Wert von 200 Milliarden Euro exportiert. Wer macht denn das?

 ?? ??
 ?? NADJA FUCHS ?? Reinhold Binder, Bundesvors­itzender der Gewerkscha­ft PRO-GE
Reinhold Binder (45) aus Micheldorf (OÖ), Lehre zum Werkzeugma­cher, seit 2023 Bundesvors­itzender der Produktion­sgewerksch­aft PRO-GE. Zur Person
NADJA FUCHS Reinhold Binder, Bundesvors­itzender der Gewerkscha­ft PRO-GE Reinhold Binder (45) aus Micheldorf (OÖ), Lehre zum Werkzeugma­cher, seit 2023 Bundesvors­itzender der Produktion­sgewerksch­aft PRO-GE. Zur Person

Newspapers in German

Newspapers from Austria