Briten zeigen Flagge
46,5 Millionen Briten schreiten heute zur Schicksalswahl § In London dominieren EU-Fans, auf dem Land das Brexit-Lager
Ich werde heute für den Austritt stimmen, sorry lads und nichts gegen euch in Austria. Denn ich liebe Vienna“, sagt Dennis Fairbanks mit typisch britischer Höflichkeit. Wir stehen im Schatten des mächtigen Big-Ben-Towers. Unter uns fließt träge die Themse vorbei – typisch englisches Wetter. „Für den Wahltag haben die noch mehr Regen angesagt. Vielleicht sogar Hochwasser. Wird aber nicht viele vom Wählen abhalten“, glaubt denn auch Krist Kristen, die vor den Houses of Parliament die „Times“, den „Mirror“, aber auch die „Sun“vertreibt. Letztere ist jetzt ihr Lieblingsblatt. Denn die Blattmacher des urtypischen britischen Boulevardblattes und dessen Herausgeber Rupert Murdoch haben sich ganz klar auf die Seite der Brexit-Befürworter geschlagen. „Nichts gegen die EU, als Handelsorganisation ist sie unschlagbar. Doch sonst – zu nichts zu gebrauchen.“
Brüssel mache doch den Engländern und all den anderen Ländern das Leben schwer. Sie argumentiert ruhig, weigert sich aber, fürs Foto auch nur ein Bri- tain-out-Pickerl runterzugeben, Und verliert dann doch Insel-Coolness, als Ian Chapman-Curry und Ray Shedden vor ihrem Zeitungsstand in Westminster ihr Propagandamaterial FÜR den Verbleib verteilen. Die beiden nehmen es mit Humor. Denn die „I’M IN“-Sticker werden ihnen nur so aus der Hand gerissen. Breitwillig machen sie für uns das durch Winston Churchill berühmt gewordene Victory-Zeichen.
Was wohl der stoische Prime Minister zum heutigen Battle of Britain gesagt hätte? Vor seiner Statue – ganz in der Nähe der Westminster Abtei – liefern sich die beiden Lager jedenfalls hitzige Wortgefechte.
Dumpf-melodiös schlägt just in diesem Augenblick der Big Ben. Seit dem 31. Mai 1859 hatte die große Glocke samt weltberühmter Uhr die Schicksalsstunden Großbritanniens angezeigt. Und war auch trotz heftiger Bombenangriffe niemals verstummt. „England hat den deutschen ,Blitz‘ überlebt, England wird auch den EU-Austritt überstehen“, meint Krist. Wenn es nun wirklich dazu kommt. Im George Inn und all den anderen alten Pubs der Weltmetropole werden und wurden in den letzten Stunden noch Wetten abgeschlossen. Die sehen überraschend klar das EULager vorne! Doch draußen in the Country Side, also am Land, wo sie noch mehr um britische Identität bangen, sieht es ganz anders aus. Der 92-jährige Ken Perry, Weltkriegsveteran aus Derby in den Midlands, etwa glaubt vieles in Gefahr. Vor allem die British Army.
Denn immer wieder geistert das Gerücht herum, dass eine Europa-Armee unter Führung Deutschlands oder noch schlimmer Frankreichs das Kommando über die Inselstreitkräfte übernehmen könnte. Für jene jungen Rekruten des Queens Lancashire Regiments, die am Vorabend der Wahl Spenden für Kriegsversehrte sammeln, ist aber klar, wem sie treu zu sein haben: der Queen und sonst niemanden.