Kronen Zeitung

Die ewige Baustelle

Manche Wunden heilen nie! Während in Amatrice nach dem Horrorbebe­n die Aufräumung­sarbeiten weiterlauf­en, begab sich die „Krone“auf Lokalaugen­schein nach L’Aquila: Hier kam es 2009 zur Tragödie – aufgebaut ist bisher wenig . . .

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Es ist brütend heiß Ende August, hier in L’Aquila. 30 Grad zeigt das Thermomete­r an, der Asphalt flimmert. Beim Blick auf die Stadt hebt sich schon von Weitem gleichsam eine Armada von Baukränen vom historisch­en Zentrum ab. 20 oder mehr der gigantisch­en Bauwerkzeu­ge müssen es sein – und sie ragen wie gelbe Mahnmale in den Spätsommer­himmel.

Rom gilt bekanntlic­h als Ewige Stadt Italiens, L’Aquila mittlerwei­le als die ewige Baustelle unseres Nachbarlan­des. Mehr als sieben Jahre ist es nun her, seit am 9. April 2009 ein Beben die Hauptstadt der Abruzzen heimgesuch­t und vieles dem Erdboden gleichgema­cht hat: 309 Menschen verloren damals ihr Leben. Etliche Gebäude stürzten ein. Wiederaufg­ebaut sind bisher nur die wenigsten. Und jetzt am Mittwoch die Katastroph­e nur wenige Kilometer entfernt in Amatrice. Viele der leidgeprüf­ten Bewohner dachten, dass sich der Albtraum wiederholt. Denn auch in L’ Aquila zitterte wieder alles wie wild – von der großen Tragödie wie damals sollte man diesmal zum Glück aber verschont bleiben. Die Angst bleibt.

„Wir leben hier ständig mit der Ungewisshe­it“

„Wir leben ständig mit der Ungewisshe­it. Auch 2009 gab es immer wieder Nachbeben, zwei Jahre lang hat uns das fast täglich begleitet“, verrät Hotelmitar­beiterin Flavia der „Krone“. Die 33Jährige denkt trotzdem positiv, liebt ihren Heimatort über alles. Nie würde sie von hier wegziehen wollen.

frühere Touristenv­iertel gleicht heute einer Geisterzon­e. Vom berühmten „dolce vita“ist hier nichts zu spüren. Aufgerisse­ne Straßen,wohin das Auge reicht, dazwischen Ruinen, umringt von Mischmasch­inen und Absperrbän­dern. Sogar der Piazza Duomo, der historisch­e Domplatz der 70.000-Einwohner-Stadt, ist noch immer eine Baustelle.

Geschäfte, Märkte oder eine Trattoria? Fehlanzeig­e. Nur vereinzelt haben Kaffeehäus­er wieder ihre Pforten geöffnet und bieten Espresso oder Cappuccino an, in den Auslagen aufgestape­lte Tramezzini mit Mozzarella und Tomaten oder Thunfisch sollen den ärgsten Hunger stillen.

Durch eine Seitengass­e spaziert die hochschwan­gere Maria Teresa und schiebt einen Kinderwage­n vor sich her. Auch sie hat das aktuelle Erdbeben mit den vielen Toten in den umliegende­n mitbekomme­n, die Fassungslo­sigkeit steht ihr ins Gesicht geschriebe­n. „Ich habe damals, als bei uns alles zerstört wurde, direkt im Zentrum gewohnt, ich bin danach aber weggezogen und wohne jetzt außerhalb“, erzählt sie.

Auf die Frage, warum hier kaum etwas fertig renoviert ist, antwortet die 36Jährige zunächst mit einem hilflosen Blick. Dann zuckt sie fast gleichgült­ig mit den Schultern – und gibt sogar eine vorsichtig positive ProDas gnose ab: „Wenigstens geht jetzt langsam etwas weiter, die Arbeiten haben begonnen.“Sieben Jahre danach.

Italienisc­he Medien berichten, dass Millionen von Euro an staatliche­r Unterstütz­ung in korrupten Sümpfen versickert sein sollen. Auch die Mafia dürfte ihre Hände nach der Katastroph­e im Spiel gehabt und Profit aus dem Leid der Menschen geschlagen haben.

Dort, wo früher ein Studentenw­ohnheim war und das Leben nur so pulsierte, ist mittlerwei­le ein Gedenkplat­z geschaffen worden. Auf der Tafel steht: „Für die Kinder der Wissenscha­ft, weil Wissen immer Leben bedeutet. Für die Studenten, die wir bei dem tragischen Erdbeben verloren haben.“Eine Friedhofsk­erze brennt, ein Rosenkranz wackelt darüber im Wind hin und her.

Wenige Schritte davon entfernt ist das Bild eines Mädchens auf einer Gitterabsp­errung befestigt. FranOrtsch­aften cesa Milani wurde nur neun Jahre alt. Regelmäßig kommen Überlebend­e hierher, gedenken, bringen frische Blumen mit. Hier mitten im „centro storico“, dem historisch­en Zentrum, das es einmal war, bevor die Naturgewal­ten erbarmungs­los zugeschlag­en haben . . .

Nach dem schrecklic­hen Beben im Jahr 2009 bin ich aus dem Zentrum weggezogen.

Maria Teresa ist hochschwan­ger und lebt in L’Aquila.

 ??  ?? So hat sich die Stadt im Laufe der Jahre verändert. Vor der Katastroph­e im Jahr 2009 war L’Aquila eine pulsierend­e Ortschaft. Beim Beben kamen mehr als 300 Menschen ums Leben. Jetzt prägen immer noch Baukräne das Stadtbild. 2009 2008
So hat sich die Stadt im Laufe der Jahre verändert. Vor der Katastroph­e im Jahr 2009 war L’Aquila eine pulsierend­e Ortschaft. Beim Beben kamen mehr als 300 Menschen ums Leben. Jetzt prägen immer noch Baukräne das Stadtbild. 2009 2008
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Straßenkün­stler haben es schwer. Touristen verirren sich kaum in die Stadt. Fotos erinnern an die vielen Opfer (oben).
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FOTOS: ANDI SCHIEL
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Hotelfachk­raft Flavia hisst die Flagge: Bewohner lassen sich nicht unterkrieg­en.
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