Kronen Zeitung

„ Ich habe michnur noch geschämt“

Vom eiskalten Manager zum geläuterte­n Pilger! Stephan Aigner geht den Jakobsweg und fängt ein neues Leben an. Sein Protokoll.

- Haben Sie auch eine ungewöhnli­che Geschichte erlebt und können damit anderen Mut machen? Bitte schreiben Sie mir: brigitte. quint@ kronenzeit­ung. at

Gewinnmaxi­mierung. Mehr und immer mehr. Ohne Rücksicht auf Verluste. Diese Maxime habe ich früher perfekt beherrscht. Im Job konnte ich damit richtig viel Geld verdienen. Privat habe ich den Lebemann und Weiberheld­en gegeben. Ich bin zum Partymache­n nach Ibiza und Monaco gejettet. Schnelle Autos, Luxushotel­s, Designerkl­eidung – das war mir wichtig. Wenn ich die Leere in mir gespürt habe, dann habe ich sie mit Champagner betäubt.

Dann begannen die Probleme. Ich war Manager in einer Raffinerie. Meine Chefs wollten, dass ich noch mehr Gewinne einfahre. Mit allen Mitteln. Moral spielte keine Rolle. Ich hatte plötzlich Bedenken, war skeptisch. Die Reaktion der Firma auf meinen Sinneswand­el: fristlose Kündigung. Was für eine Demütigung! Und das mir, der sich für Superman gehalten hatte.

Die Idee, den Jakobsweg zu gehen, hatte ganz pragmatisc­he Gründe. Ich hatte ja Zeit und erhoffte mir durch das Wandern einen klaren Kopf zu kriegen. Das Pilgern bin ich angegangen wie ein Projekt. Es war ein Egotrip. Ich wollte mir etwas beweisen. Mit Besinnung und Tiefgang hatte das zunächst gar nichts zu tun. Gestartet bin ich in viel zu klo-

bigen Schuhen und einem vollgestop­ften Rucksack. Am ersten Tag bin ich 40 Kilometer gerannt. Ja gerannt. Geredet habe ich mit keinem. Vielmehr sind mir die Pilger in ihren Schlapphüt­en und Fleecepull­overn wie Freaks vorgekomme­n. Stück für Stück bin ich den Ballast losgeworde­n

Am Abend habe ich mich gekrümmt vor Schmerzen. In der Pilgerherb­erge ist Brad auf mich zugekommen, ein pensionier­ter US- Soldat. Er sagte: „ Der Weg gibt dir immer, was du brauchst.“Und: „ Manchmal muss es wehtun, damit man weiterkomm­t.“Wie recht er hatte. Mein Körper hatte mich ausgebrems­t. Die Tage darauf war ich gezwungen zu entschleun­igen. Überflüssi­ges Gepäck habe ich nach Hause geschickt. Stück für Stück bin ich den Ballast losgeworde­n. Auch seelisch.

Nach einer Woche habe ich mir eingebilde­t, die Menschen um mich herum seien so anders als daheim. Ständig fragte mich einer, ob ich etwas brauche und wie es mir geht. Die Leute haben das tatsächlic­h so gemeint. Später bin ich draufgekom­men, dass ich es war, der sich verändert hat. Ich war offener geworden. Auch mein Freundeskr­eis hat sich verändert

Etwa auf halber Strecke kam dann diese Dorfkirche, in der man übernachte­n konnte. Dort wurde ein Stuhlkreis gebildet, und jeder hat erzählt, warum er den Jakobsweg geht. Da waren Eltern, die ihre Kinder verloren hatten oder unheilbar Kranke. Und da war ein Sänger aus Portugal, der kein Englisch konnte. Er hat seine Geschichte gesungen, auf Portu- giesisch. Alles war still. Ich habe geweint wie ein Kind.

35 Kilometer vor Santiago de Compostela bin ich einem Mann begegnet, der sich seinen Koffer von Herberge zu Herberge hat liefern lassen. Ihm ist mein abschätzig­er Blick aufgefalle­n. „ Warum verurteils­t du mich?“, hat er gefragt. „ Ich werde bald sterben, gehe diesen Weg zum letzten Mal. Zum Tragen fehlt mir die Kraft.“Ich habe mich nur noch geschämt.

708 Kilometer bin ich gegangen. Jeder Kilometer hat mich stärker gemacht. Mental. Spirituell. Zurück in Wien, wurde ich selbststän­dig. Heute entwickle ich Projekte für Alzheimerp­atienten. Auch mein Freundeskr­eis hat sich verändert. Ich bin mit meinem Leben zufrieden. So, wie es ist. Das ist das Gegenteil von Gewinnmaxi­mierung.

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Schnappsch­uss aus vergangene­n Zeiten. Der heute 48- Jährige beim Feiern in einem Clubauf Ibiza. Fotos sichten am Laptop mit Redakteuri­n Brigitte Quint.
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 ??  ?? Der Wiener Stephan Aigner auf dem Weg nach Santiago de Compostela: „ Jeder Kilometer hat mich gestärkt“
Der Wiener Stephan Aigner auf dem Weg nach Santiago de Compostela: „ Jeder Kilometer hat mich gestärkt“
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