„ Ich habe michnur noch geschämt“
Vom eiskalten Manager zum geläuterten Pilger! Stephan Aigner geht den Jakobsweg und fängt ein neues Leben an. Sein Protokoll.
Gewinnmaximierung. Mehr und immer mehr. Ohne Rücksicht auf Verluste. Diese Maxime habe ich früher perfekt beherrscht. Im Job konnte ich damit richtig viel Geld verdienen. Privat habe ich den Lebemann und Weiberhelden gegeben. Ich bin zum Partymachen nach Ibiza und Monaco gejettet. Schnelle Autos, Luxushotels, Designerkleidung – das war mir wichtig. Wenn ich die Leere in mir gespürt habe, dann habe ich sie mit Champagner betäubt.
Dann begannen die Probleme. Ich war Manager in einer Raffinerie. Meine Chefs wollten, dass ich noch mehr Gewinne einfahre. Mit allen Mitteln. Moral spielte keine Rolle. Ich hatte plötzlich Bedenken, war skeptisch. Die Reaktion der Firma auf meinen Sinneswandel: fristlose Kündigung. Was für eine Demütigung! Und das mir, der sich für Superman gehalten hatte.
Die Idee, den Jakobsweg zu gehen, hatte ganz pragmatische Gründe. Ich hatte ja Zeit und erhoffte mir durch das Wandern einen klaren Kopf zu kriegen. Das Pilgern bin ich angegangen wie ein Projekt. Es war ein Egotrip. Ich wollte mir etwas beweisen. Mit Besinnung und Tiefgang hatte das zunächst gar nichts zu tun. Gestartet bin ich in viel zu klo-
bigen Schuhen und einem vollgestopften Rucksack. Am ersten Tag bin ich 40 Kilometer gerannt. Ja gerannt. Geredet habe ich mit keinem. Vielmehr sind mir die Pilger in ihren Schlapphüten und Fleecepullovern wie Freaks vorgekommen. Stück für Stück bin ich den Ballast losgeworden
Am Abend habe ich mich gekrümmt vor Schmerzen. In der Pilgerherberge ist Brad auf mich zugekommen, ein pensionierter US- Soldat. Er sagte: „ Der Weg gibt dir immer, was du brauchst.“Und: „ Manchmal muss es wehtun, damit man weiterkommt.“Wie recht er hatte. Mein Körper hatte mich ausgebremst. Die Tage darauf war ich gezwungen zu entschleunigen. Überflüssiges Gepäck habe ich nach Hause geschickt. Stück für Stück bin ich den Ballast losgeworden. Auch seelisch.
Nach einer Woche habe ich mir eingebildet, die Menschen um mich herum seien so anders als daheim. Ständig fragte mich einer, ob ich etwas brauche und wie es mir geht. Die Leute haben das tatsächlich so gemeint. Später bin ich draufgekommen, dass ich es war, der sich verändert hat. Ich war offener geworden. Auch mein Freundeskreis hat sich verändert
Etwa auf halber Strecke kam dann diese Dorfkirche, in der man übernachten konnte. Dort wurde ein Stuhlkreis gebildet, und jeder hat erzählt, warum er den Jakobsweg geht. Da waren Eltern, die ihre Kinder verloren hatten oder unheilbar Kranke. Und da war ein Sänger aus Portugal, der kein Englisch konnte. Er hat seine Geschichte gesungen, auf Portu- giesisch. Alles war still. Ich habe geweint wie ein Kind.
35 Kilometer vor Santiago de Compostela bin ich einem Mann begegnet, der sich seinen Koffer von Herberge zu Herberge hat liefern lassen. Ihm ist mein abschätziger Blick aufgefallen. „ Warum verurteilst du mich?“, hat er gefragt. „ Ich werde bald sterben, gehe diesen Weg zum letzten Mal. Zum Tragen fehlt mir die Kraft.“Ich habe mich nur noch geschämt.
708 Kilometer bin ich gegangen. Jeder Kilometer hat mich stärker gemacht. Mental. Spirituell. Zurück in Wien, wurde ich selbstständig. Heute entwickle ich Projekte für Alzheimerpatienten. Auch mein Freundeskreis hat sich verändert. Ich bin mit meinem Leben zufrieden. So, wie es ist. Das ist das Gegenteil von Gewinnmaximierung.