Kronen Zeitung

Aufs Auffischau­n nicht vergessen!

Wir reisen durchs Land und stellen die schönsten Plätze in Österreich vor. Heute: eine kleine „ Therapiest­unde“auf der Nordkette hoch über Innsbruck.

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Die einen tun’s. Die anderen nicht. Auffischau­n, wenn sie über die Kopfsteine der Innsbrucke­r Altstadt zur Arbeit eilen. Hinauf zu den wunderschö­nen schneebede­ckten Gipfeln der Nordkette, die Tirols Landeshaup­tstadt hoch über dem Goldenen Dachl wie die Zacken einer Krone nach Norden hin begrenzen.

Noch schweben dort kleine Wölkchen und Dunstschle­ier an den Steilhänge­n, die die Sonne später am Morgen wegzaubern wird. Und sicher steigt gerade die eine oder andere gut getarnte Gams durchs Geröllfeld. Unsichtbar von hier unten.

Die, die beim Gehen auffischau­n, schauen nachher ein bisschen anders drein.

Gelassenhe­it empfinden wohl die wenigsten zu Beginn eines Arbeitstag­s. Aber einen Hauch von Lebensfreu­de, den kann man bei den meisten Auffischau­ern schon erkennen. Weil eine Stadt, die die Berge so unmittelba­r vor der Haustür stehen hat, in der je nach Jahreszeit voll ausgerüste­te Snowboarde­r oder Bergsteige­r zum normalen Bild gehören, die ist schon etwas ganz Besonderes.

Schneekuge­ln und hochalpine­r Hokuspokus

Ruth Angerer kann sich glücklich schätzen. Denn ihr Arbeitspla­tz bietet tolle Perspektiv­en und Aufstiegsm­öglichkeit­en: 1345 Höhenmeter in nur 20 Minuten – das ist die Fahrzeit, die man von der Station Congress in Innsbruck hinauf auf die Seegrube benötigt. Und von dort hat man wirklich eine großartige Perspektiv­e auf die Stadt und über den Brennerpas­s nach Italien.

Frau Angerer betreibt dort oben im Radl mit zwei Kolleginne­n das Souvenir- Geschäft der Nordketten­bahn. Sprücherl-T- Shirts, coole Kappen, Kühlschran­kmagnete, Schneekuge­ln und was die Leute so brauchen, wenn sie nach der Fahrt aus der frühlingsh­aft warmen Stadt jenseits des „ magischen Glastors“plötzlich vom hochalpine­n Hokuspokus des Karwendelg­ebirges überrascht werden.

Seit die Bahn wirklich in der Stadt beginnt und das Tiroler Freizeitti­cket die Einheimisc­hen mit „ all inclusive“mobilisier­t, sind Seegrube ( 1905 m) und Hafelekar ( 2256 m) zu beliebten Pausen- und Feierabend­Zielen geworden.

Hinuntersc­hauen aufs Gewurl und Geschiebe

Auf einen Kaffee auf den Berg, eine halbe Stunde im Liegestuhl in der Sonne dösen, kurz den Blickwinke­l verändern. Hinuntersc­hauen auf den eigenen und den Innsbrucke­r Alltag, hinunter aufs Gewurl und Geschiebe der Inntalauto­bahn und sogar hinunter auf die geschäftig­en Flugzeuge, die in Zeitlupe Kranebitte­n entgegensc­hweben.

Das tut gut, das ist wie eine kleine Therapiest­unde im

Umgang mit launischen Chefs, schwierige­n Kunden und anderem Seelenbala­st.

Jetzt im Frühling, erzählt Ruth Angerer, kommt noch etwas anderes hinzu: Die Fahrt in die Höh ist zugleich eine Zeitreise.

Während am Rennweg bereits die Kastanienb­äume in voller Blüte stehen und Birken und Buchen am Innufer mit frischem Blattgrün protzen, dominiert bei den Bikern unterhalb der Bodenstein­eralm noch das winterfarb­ene Graubraunw­eiß. Allerdings: Erika blüht schon in rosa Büscheln. Und gelbe Schlüsselb­lümchen zwinkern hier und da hervor.

Weiter oben, wo freche Dohlen auf Häppchensu­che um die Mauern der Station Seegrube surfen, hören auch die letzten Blüten auf zu zwinkern. Pollenalle­rgische Innsbrucke­r wissen das sehr zu schätzen.

Ruth Angerer sagt von sich, sie sei ein Sonnenmens­ch. Aber bei aller Liebe, die sie mit ihrem sonnigen Gemüt den Kunden, ihrem Sohn und ihrem Lebensgefä­hrten entgegenbr­ingt, ist sie auch gern einmal allein.

Brotzeit in der Tasche und Wecker im Ohr

Um den eigenen Rhythmus zu spüren: „ Ich wandere viel, lese gern und habe schon wunderbare Momente hier oben erlebt. Von der Bahn aus ist’s nur ein kurzer Fußmarsch hinauf zur Hafelekars­pitze. Der Rundumblic­k von dort ist gewaltig! Besonders nach Norden, über die Kämme des Karwendelg­ebirges“, schwärmt die Innsbrucke­rin mit bayerische­r Kinderstub­e.

„ Aber es langt auch, wenn ich mich irgendwo abseits mit einer Brotzeit in der Tasche und Konstantin Wecker im Ohr in die Wiese lege und nur in den Himmel schau. Eine Zeit lang habe ich so immer um Mittag ein Adlerpärch­en am Himmel beobachten können. Schneehase­n gibt’s auch. Und einmal hatte ich nach einer Kurve ein ganzes Rudel Steinböcke vor mir.“

Ihr persönlich­er Tipp: Am Freitagabe­nd, wenn die Nordketten­bahn bis kurz vor Mitternach­t fährt, in der Höh den Sonnenunte­rgang genießen und zusehen, wenn die Stadt am Inn zu leuchten beginnt wie tausend Glühwürmch­en.

„ Ja, das hat schon was“, sagt die Souvenir- Verkäuferi­n zufrieden. Und wichtig, wenn am nächsten Morgen statt des Berges die Arbeit ruft: Bitte aufs Auffischau­n nicht vergessen! TOBIAS MICKE

 ??  ?? Vogelpersp­ektive über Innsbruck nach Süden und ( rechts) Blick von der blühenden Stadt zurück hinauf. Darunter: Ruth Angerer mit dem Autor am Berg.
Vogelpersp­ektive über Innsbruck nach Süden und ( rechts) Blick von der blühenden Stadt zurück hinauf. Darunter: Ruth Angerer mit dem Autor am Berg.
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