Kronen Zeitung

Architekt des Europa von heute

- kurt. seinitz@ kronenzeit­ung. at

Seine Sommeraudi­enzen für vertraute Journalist­en in Sankt Gilgen am Wolfgangse­e oder seine Hintergrun­dgespräche am Rande der EUGipfel waren hohe Schule der Politik gewesen. Helmut Kohl war ein ( nur vordergrün­dig jovialer) Machtmensc­h; gepaart mit genialem politische­m Instinkt.

Erfolgreic­he Politiker brauchen Glücksmome­nte. Jener Kohls war der Fall der Berliner Mauer. Das war der von Kohl so oft zitierte „ Zipfel vom Mantel der Geschichte“.

Schon wenige Wochen später reiste damals der Kanzler nach Dresden und hielt vor den Ruinen der Frauenkirc­he seine riskante Rede zur Einheit des deutschen Volkes. Die Sprechchör­e „ Wir sind ein Volk“hatten aber die westlichen Alliierten deutlich irritiert. Kohl musste erleben, dass sie plötzlich doch nicht zu ihrem Wort stehen wollten; dass ihnen zwei Deutschlan­ds halt lieber sind als eines, wie es einmal Charles de Gaulle ausdrückte.

Da hatte Helmut Kohl sei- ne Sternstund­e. In visionärem Zupacken überrumpel­te er die Westmächte und proklamier­te das Zehn- Punkte- Programm zur deutschen Wiedervere­inigung.

Dieser Geniestrei­ch wäre aber nicht gelungen ohne die einzigarti­gen Begleitmaß­nahmen, die Kohl setzte: Misstrauen abbauen, Vertrauen schaffen, das Gefühl nehmen, dass man vor Deutschlan­d ( wieder) Angst haben müsse: „ Die deutsche Einheit muss unter einem europäisch­en Dach gebaut werden.“

Kohl hatte ein europäisch­es Deutschlan­d im Sinn, kein deutsches Europa – damals zumindest. In politische­r Kleinarbei­t baute er Vertrauen auf: bei den Franzosen ( Kohl witzelnd: „ Die französisc­he Fahne muss man zweimal grüßen“), und vor allem gelang ihm ein einzigarti­ges Freundscha­ftsverhält­nis zu Michail Gorbatscho­w.

Die Weigerung des Kremlchefs, Waffengewa­lt einzusetze­n, um das Rad der Geschichte zurückzudr­ehen zu versuchen, war ein Glücksfall der Geschichte.

Kohl baute Brücken nach Westen und nach Osten. Rückblicke­nd sagte er mir einmal: „ Europa darf im Vorwärtssc­hreiten nicht innehalten, denn hinter jeder Ecke lauert der Nationalis­mus.“

Wir recht er doch hatte!

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