Am schlummernden Vulkan
Wir reisen durchs Land und stellen die schönsten Plätze Österreichs vor. Heute Barbara Wiegeles Mittagskogel am Faaker See in Kärnten.
Als ich klein war“, erzählt Barbara Wiegele, „ da hab ich im Mittagskogel immer einen riesigen, schlummernden Vulkan vermutet. Ich konnte ihn direkt vom Wohnzimmer meiner Eltern in Finkenstein sehen. Ich habe sogar mein erstes Referat in der Schule über ihn gehalten. Und ich war später mit sehr vielen lieben Menschen dort oben.“
Barbara Wiegeles Lieblingsplatzl ist dennoch nicht oben auf ihrem 2145 Meter hohen Vulkan- Gipfel, sondern – ganz konsequent – an einer Stelle, von der man auch einen besonderen Blick auf den Mittagskogel hat: Auf der vorgelagerten Ferlacher Spitze ( 1742 m). Diesen herrlichen Aussichtspunkt erreicht man in etwa einer Dreiviertelstunde von der legendären Berta- Hütte aus.
Die 42- jährige Kärntnerin Barbara ist Bergwanderführerin, Waldpädagogin, hat einen Master in Naturschutz an der Uni Klagenfurt und eine Ausbildung zum Thema „ Kosmetik aus dem Wald“absolviert. Ein Landkind, das seine Begeisterung für die Natur zum Beruf gemacht hat, würde man meinen.
Karriere- Spirale drehte sich immer schneller
Der Kontrast könnte aber kaum größer sein, wenn sie erzählt, womit sie vorher ihr Geld verdient hat: „ Investmentbankerin, Finanzanalystin bei Goldman- Sachs“, sagt sie lächelnd, weil sie weiß, wie seltsam das klingt.
So schnell es geht raus aus der Provinz, war damals, nach der Schule, die Devise. Ab in die große Stadt, nach Wien.
Wirtschaft studieren. Und dann die Welt der Hochfinanz entdecken. Zum Beispiel in Hongkong oder in New York.
Barbara bestand in diversen Ausscheidungsverfahren gegenüber jeder Menge Mitbewerbern, lernte, sich im ewigen Wettkampf der Finanzwelt durchzusetzen, erlebte, wie Provisionen und Gewinnbeteiligungen einem den Kopf verdrehen können. – Und sprang eines Tages von dieser sich immer schneller drehenden Karriere- Spirale ab.
Ihr Leben hatten bis zu diesem Moment andere bestimmt. Die Richtung vorgegeben und den Blick getrübt. Jetzt sehnte sich Barbara nach Eigenständigkeit: herausfinden, was wirklich glücklich macht.
Bei dieser Suche in ihrer Heimat am Faaker See erkannte sie den Zusammenhang zwischen dem Lebensstil „ moderner Menschen“und ihrem Verhalten der Natur gegenüber.
Menschen, denen die Natur wurscht ist
Barbara Wiegele: „ Wenn persönliche Natur- Erlebnisse fehlen, kann auch keine Beziehung zur Natur entstehen. Und wenn die persönli-
che Beziehung zur Natur fehlt, geht man auch nicht achtsam mit ihr um.“
Also: Menschen, denen die Natur wurscht ist, hatten nie eine Beziehung zu ihr, auch als Kinder nicht. Das klingt so einfach, wie es traurig ist.
Andererseits ist es aber auch nicht so schwer, etwas daran zu ändern. So fand Barbara ihre neue Aufgabe: den Menschen der Computer-, Internet- und HandyGeneration wieder einen persönlichen Bezug zur Natur zu geben. Sie wieder achtsamer zu machen.
„ Naturschutz ist Beziehungsarbeit“, sagt sie. Das Schöne daran: Diese Arbeit macht Spaß! Barbara Wiegeles Gäste sollen beim Wandern naschen. Einfach so im Vorbeigehen zugreifen. Nussige BrennnesselSamen zum Beispiel oder erbsige Brillenschötchen oder würzigen Quendel und aromatischen Dost.
Manchmal wird dann mitten in Wiese und Wald ein köstliches Mahl gerichtet: Salat aus der Natur mit Brot und Butter vom Bauern. Oder dann daheim Suppe aus Wildem Spinat, Knödel mit Wiesensalbei- Butter mit frittierten Brennnessel- und Wegerich- Chips. Barbaras Überlegung: Wer gelernt hat, dass er in einer essbaren Landschaft lebt, verschmutzt sie auch weniger.
Der Duft von frischem Kaffee und Apfelstrudel
Auf dem Weg hinauf zum Gipfelkreuz der Ferlacher Spitze wachsen jede Menge Brillenschötchen und Quendel, der wilde Bruder des Thymians. Sozusagen die Appetitmacher fürs Frühstück, das bei Wirtin Gisela Höher in der Bertahütte wartet: Vorhin, beim Vorbeigehen duftete es schon verführerisch nach frischem Kaffee und Giselas berühmtem Apfelstrudel.
Barbara Wiegeles Lieblingsplatz muss man sich zwar erarbeiten, er ist aber auch ein echtes Gustostückerl: Auf der einen Seite hat man den spektakulär felsigen Nordostgrat des Mittagskogels direkt vor Augen. Auf der anderen – wenn man auf dem netten Aussichtsbankl Rast macht – ganz Kärnten zu Füßen, zumindest gefühlsmäßig.
Barbara: „ Gleich vorne der glitzernde Faaker See mit seinen Segelbötchen. Weiter hinten der Wörthersee mit Klagenfurt und die Drau und der Dobratsch und hinterm Mittagskogel auf slowenischer Seite die Julischen Alpen, wenn die Sicht es zulässt.“Wenn, wie heute, leichter Wind und freundliche Wolken im Spiel sind, macht es Spaß, auf dem Aussichtsbankl der Fantasie freien Lauf zu lassen.
Zwergenschätze und jede Menge Fabelwesen
Dann bekommt man schnell das Gefühl, in einem Segelflugzeug zu schweben, während die Wolken unter einem dahinziehen.
Oder man stellt sich Barbaras Abenteuer- Reisen als Kind daheim in Finkenstein vor: Die mächtige Pyramide ihres Hausbergs mit seinen vielen gut gehüteten Geheimnissen.
Da gibt’s bestimmt endlose unterirdische Gänge, Zwergenschätze, Fabelwesen. – Er sieht ja wirklich aus wie ein schlummernder Vulkan, der Mittagskogel.