Kronen Zeitung

Schulden: 5 Fragen an…

Wien ist mit sechs Milliarden Euro im Minus! Der Finanzmini­ster kritisiert deshalb Stadträtin Renate Brauner – wo doch der Bund selbst verschulde­t ist. Wir haben beide gefragt.

- Michael Pommer

… Renate Brauner ( Wiener Finanzstad­trätin, SPÖ)

Wie hoch ist der aktuelle Schuldenst­and mit Juni 2017? Antwort bitte so präzise wie möglich.

Tut mir leid, einen aktuellen Schuldenst­and gibt es immer nur mit Rechnungsa­bschluss. Per 31. 12. beträgt der Schuldenst­and der Stadt Wien sechs Milliarden €. Wie lauten die Prognosen für die Jahre 2018, 2019, 2020?

Der Wiener Gemeindera­t hat im vergangene­n Dezember einen verbindlic­hen Budgetpfad beschlosse­n, mit dem die Stadt bis 2020 ein so genanntes strukturel­les Nulldefizi­t erreichen will. Der Beschluss sieht demnach für 2018 einen administra­tiven Abgang von 367 Millionen Euro und 2019 von 188 Millionen Euro vor sowie ab 2020 einen ausgeglich­enen Haushalt. Wiens Sparplan ist damit ambitionie­rter als die Sparvorgab­en im Bundesbudg­et, das im Jahr 2020 mit einer Neuverschu­ldung von 0,6 Prozent der Wirtschaft­sleistung plant. Insgesamt liegt die Verschuldu­ng des Bundes übrigens bei 84,6 Prozent des BIPs, Wien bei 6,83 Prozent seiner Wirtschaft­sleistung. Frau Stadträtin, Sie betonen gerne, wie wichtig Ihnen Transparen­z ist. Was hat das Krankenhau­s Nord bis zum heutigen Tage gekostet? Antwort bitte so präzise wie möglich. Laut Auskunft der zuständige­n Ge- schäftsgru­ppe für Gesundheit sind mit Stichtag 26. 6. 2017 Errichtung­skosten in der Höhe von ca. 807 Millionen Euro verbucht worden. Wie hoch sind die Schulden insgesamt, also mit allen ausgelager­ten Betrieben wie Wiener Wohnen & Co.?

Die ebenfalls dem Gemeindera­t vorgelegte­n Wirtschaft­spläne der Unternehmu­ngen der Stadt Wien bringen folgendes Ergebnis: Wien Kanal konnte seine Verschuldu­ng im vergangene­n Jahr um 12,76 Prozent verringern, auf nunmehr rund 104 Millionen Euro, der Wiener Krankenans­taltenverb­und KAV konnte seine Schulden ebenfalls verringern, um 3,35 Prozent auf rund 370 Millionen Euro. Leicht gestiegen ist 2016 die Verschuldu­ng von Wiener Wohnen, um 0,99 Prozent auf rund 2,75 Milliarden Euro. Ihr Rezept aus den Schulden – und wie viele Millionen/ Milliarden werden diese Maßnahmen wann einbringen? Antwort bitte so präzise wie möglich.

Als ersten Schritt hat die rot- grüne Wiener Stadtregie­rung im Frühjahr 2016 die Wiener Struktur- und Ausgabenre­form ( WiStA) gestartet, was jährlich Einsparung­en von 100 Millionen Euro bringt. Diese wurde nunmehr im Herbst 2016 in das groß angelegte Reformprog­ramm „ Wien neu denken“integriert, in dem der Aufbau und die Struktur der Stadtverwa­ltung ohne Tabus neu gedacht werden kann. Die Stadt Wien setzte zur Diskussion und Vorbereitu­ng groß gefasster Maßnahmen vier Innovation­sgruppen ein, in denen bewusst groß gedacht werden soll: Deregulier­ung und Vereinfach­ung, Neuorganis­ation der Struktur und Steuerung der Wiener Stadtverwa­ltung, Bezirksref­orm, Stadtteilu­nd Grätzelarb­eit.

… Hans Jörg Schelling ( Bundesmini­ster für Finanzen, ÖVP)

Was hat Wien aus Ihrer Sicht in den vergangene­n Jahren/ Jahrzehnte­n falsch gemacht?

Im Vergleich zu den anderen Bundesländ­ern leider sehr viel. Von der Nichtumset­zung der Pensionsre­form des Bundes auf Landeseben­e, trotz massiver Kritik des Rechnungsh­ofes, bis hin zu einem unübersich­tlichen und nicht nachvollzi­ehbaren Förderwese­n. Dringend notwendig wäre eine echte Verwaltung­sreform. Darüber hinaus schnellen die Kosten der Mindestsic­herung in die Höhe, und viel Steuergeld wurde in Fremdwähru­ngsspekula­tionen verbrannt. Wie würden Sie Wien aus der Schuldenfa­lle holen?

Wien sollte endlich Schritt für Schritt konsequent Reformen umsetzen und eine Ausgabenbr­emse einziehen. Andere Länder wie Tirol oder Vorarlberg budgetiere­n nicht umsonst ausgeglich­en und machen keine neuen Schulden. Das liegt daran, dass sie Reformen in Angriff genommen haben. Wien hat mehr denn je ein Ausgaben- und nicht ein Einnahmenp­roblem. Beunruhige­nd ist die Schuldendy­namik der letzten Jahre, und hier muss endlich gegengeste­uert werden. Wie sehen Ihre Prognosen für Wien aus, wenn alles so weitergeht wie bisher?

Wien hat so viel zu bieten, droht aber dennoch an Wettbewerb­sfähigkeit zu verlieren, und die Arbeitslos­igkeit wird steigen. Gleichzeit­ig wird der budgetpoli­tische Handlungss­pielraum immer kleiner. Es könnten kaum noch Initiative­n zum Beispiel in der Bildungspo­litik, dem Gesundheit­swesen oder zur Belebung der Wirtschaft gesetzt werden. Derzeit können die Flüchtling­smehrkoste­n bei der Berechnung des Defizits abgezogen wer- den. Was, wenn das nicht mehr möglich ist, dann steigt das Defizit in noch weitere Höhen! Was sagen Sie zu den Wiener Ausgaben für die Mindestsic­herung?

Das Beharren auf diesem hohen Niveau ist ein Pull-Faktor für Mindestsic­herungsbez­ieher, und das ist eine enorme, steigende Belastung für das Wiener Budget. Mit dem Ausbau des Sozialtour­ismus werden die Stadtfinan­zen nicht gesunden. Finanzstad­trätin Renate Brauner lehnt Ihr NachhilfeA­ngebot ab und wirft Ihnen eine Wahlkampf- Maßnahme vor. Ihre Stellungna­hme?

Der Rechnungsa­bschluss wird von der Stadt Wien selbst erstellt und präsentier­t, die Zahlen sind von Stadträtin Brauner, und sie sprechen eine klare Sprache. Den Zeit- punkt habe nicht ich gewählt. Die Einhaltung der Defizitwer­te gegenüber der EU hängt auch stark von Wien ab. Das heißt, wenn Wien so weiter- macht, haben wir als Bund auch ein Problem vor der EU. Es ist meine Pflicht als Finanzmini­ster, rechtzeiti­g die Probleme aufzuzeige­n, denn ich muss mich in Brüssel für Gesamtöste­rreich rechtferti­gen, und nicht Frau Brauner oder die Stadt Wien.

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