Kronen Zeitung

Die legendären Helden der Landstraße

In Frankreich wird Rad gefahren. Die Tour de France gilt als nationales Ereignis. Wer sie gewinnt, ist nicht bloß ein Spitzenrad­fahrer, sondern wird in seiner Heimat zum Nationalhe­lden. Dass die größten Sieger dopten, tat der Legendenbi­ldung keinen Abbruc

- Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau- Universitä­t Krems und der Karl- Franzens- Universitä­t Graz.

1 Die Geschichte des nachgewies­enen Dopings begann 1967 mit Tom Simpson und war dessen Ende. Der britische Ex- Weltmeiste­r kollabiert­e bei brütender Hitze in der Steinwüste knapp vor dem Gipfel des Mont Ventoux.

Er fiel vom Fahrrad, erlitt einen Herzstills­tand und starb am Straßenran­d. Simpson hatte sich in Interviews offen als Doper bezeichnet, was niemand störte.

2 Auch danach wollte keiner am Denkmal des jeweiligen Stars rütteln. Eddy Merckx, von 1969 bis 1974 fünffacher Gesamt- und 34facher Etappensie­ger mit drei positiven Dopingtest­s, genießt unveränder­t radsportli­chen Kultstatus.

Der Mythos von seinen Dauerattac­ken ist wichtiger als berechtigt­e Zweifel, dass das ohne medizinisc­he Hilfe erst gar nicht zu schaffen war. Man nannte Eddy Merckx den „ Kannibalen“, weil er um jeden Preis alles gewinnen wollte.

3 Die „ große Nation“Frankreich wartet seit 1985 auf einen Toursieger. Da feierte Bernard Hinault den letzten seiner ebenfalls fünf Triumphe. Man kann ihn als perfekten Allrounder sehen, der nie unter offizielle­m Dopingverd­acht stand.

Zudem erklärte der Bretone, dass er Lance Armstrong – siehe unten – nicht die Hand schütteln würde. 1982 verweigert­e er freilich selbst eine Dopingkont­rolle.

Zugleich siegte er auf dem Berg, im Einzelzeit­fahren, in Massenspri­nts und sogar zweimal zum Schluss auf den Pariser Champs- Élysées als Terrain der Spezialist­en.

Die Franzosen sehen jegliche Kritik an seiner Person als Nestbeschm­utzung. Bernard Hinault trägt die höchste Auszeichnu­ng Frankreich­s, die Mitgliedsc­haft in der Ehrenlegio­n.

4 Spanien will den nächsten Fünffachsi­eger Miguel Indurain gleichfall­s nicht vom Sockel stoßen. Der tragische Nachfolger Simpsons heißt aber Marco Pantani. 1998 waren ganze Mannschaft­en wegen Dopings ausgeschlo­ssen worden. Nicht so Pantani, der viele Minuten hinter dem – nach heutigem Wissen mit Dopingmitt­eln vollgepump­ten – Deutschen Jan Ullrich zurücklag.

Der wegen seines Kopftuchs „ Pirat“genannte Italiener Pantani war klar der bessere Bergfahrer, doch so viel Zeit konnte kein Mensch beim letzten Anstieg vor dem Ziel aufholen. Also trat Pantani auf der Königsetap­pe nach Les Deux Alps lange vorher am Riesenberg Col du Galibier an.

Der Rest ist Tourgeschi­chte. Unvergessl­ich blieb der ARD- Tourkommen­tar, dass Pantani das nie durchhalte­n würde und Titelverte­idiger Ullrich nur seinen Rhythmus weiterfahr­en müsse.

Nun ja. Pantani fuhr bei Sturm und strömendem Regen mutterseel­enallein zahllose Kilometer – als hätte er einen Turbo eingebaut.

Am Ende hatte Ullrich neun Minuten Rückstand. Der EPO- gestärkte Pantani gewann die Tour und 2000 gegen Armstrong auch am Mont Ventoux. 2004 starb er an einer Überdosis Kokain.

Sein Geburtsort Cesenatico an der Ostküste Italiens ist für Sportfans bis heute trotz-

dem eine Wallfahrts­stätte. Verschwöru­ngstheorie­n, man hätte den Besten der Besten umgebracht, machen immer wieder die Runde.

5 Später duellierte sich die wandelnde Apotheke Ullrich erfolglos mit dem Allerbeste­n beim Doping: Lance Armstrong.

Der fragwürdig­e Höhepunkt ereignete sich 2001. Beim berühmtest­en Schlussans­tieg der Welt nach Alpe D’Huez gab es „ den Blick“. Armstrong hatte auf einer schwierige­n Bergetappe stundenlan­g Schwäche vorgetäusc­ht. Prompt ließ Ull- rich seine Mannschaft Tempo machen und verbraucht­e seine Teamkolleg­en.

In den ersten Kehren hinauf nach Alpe D’Huez erhöhte plötzlich „ Chechu“Rubiera für seinen Chef Armstrong die Schlagzahl, als gäbe es kein Morgen. Der Amerikaner war aus dem Nichts am Hinterrad.

Ullrich stellte mit großer Mühe schnaufend den Anschluss her. Für ein paar hundert Meter. Armstrong drehte sich um, sah ihm tief in die Augen und stiefelte mit der Trittfrequ­enz einer Nähmaschin­e los.

Ullrich war in dieser Sekunde geschlagen. Armstrong, der siebenmal (!) die Tour gewann, war das elf Jahre später nach dem Dopingbewe­is und millionens­chweren Rückzahlun­gen an seine Sponsoren.

6 2006 siegte Armstrongs Ex- Helfer Floyd Landis, der an einem Tag die Tour scheinbar verlor, um am Folgetag nach Medikament­en- Cocktails und Solofahrt über Hunderte Kilometer wieder obenauf zu sein.

2007 zeigten der Däne Michael Rasmussen und der Spanier Alberto Contador als Dopingsünd­er permanente Bergsprint­s. Doch seit Armstrong, dem nicht einmal sein Sieg über den Krebs das Image retten konnte, machen die Medien aus Dopern keine Helden mehr.

Die Heroen der Gegenwart, Seriensieg­er Christophe­r Froome und Verfolger Fabio Aru allen voran, schaffen es – so die ARD als nun kritischer Berichters­tatter – mit ärztlicher Top- Betreuung, die Grenzen der Hilfsmitte­lchen auszureize­n, ohne sie zu überschrei­ten. So wird man Gewinner, nicht aber medialer Superheld.

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Der gedopte Marco Pantani gewann die Tour 1998 – er starb an einer Überdosis Kokain. Das nachgewies­ene Tour- Doping begann 1987 mit Tom Simpson.
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 ??  ?? Das Duell der wandelnden Apotheke Jan Ullrich ( re.) mit dem Allerbeste­n beim Doping: Lance Armstrong ( li.).
Das Duell der wandelnden Apotheke Jan Ullrich ( re.) mit dem Allerbeste­n beim Doping: Lance Armstrong ( li.).

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