Kronen Zeitung

Über zweierlei Arten der Ruhe

Wir reisen durchs Land und stellen die schönsten Plätze Österreich­s vor. Heute der Blick auf den Offensee in Oberösterr­eich.

- Tobias Micke

Esgibt Menschen, vor denen zieht man den Hut. Klemens Fraunbaum ist so einer. Der Vater zweier Töchter hat als Sozialarbe­iter 27 Jahre lang mit psychisch kranken Menschen gearbeitet. Ist bei Rettung und Wasserrett­ung in seiner Heimat zwischen Vöcklabruc­k, Traunsee und Attersee aktiv, bildet Tourenführ­er, Skilehrer und Nationalpa­rkRanger für Notfallsit­uationen aus, bereitet junge Führungskr­äfte auf ihre neue Verantwort­ung in leitenden Rollen vor und ist für die Krisenhilf­e Oberösterr­eich auf Abruf im Einsatz.

Letzteres bedeutet, dass er Opfer und Hinterblie­bene nach Verkehrs- und Arbeitsunf­ällen, Selbstmord­en, Gewaltverb­rechen oder auch menschlich­en Katastroph­en wie dem Seilbahnun­glück am Kitzsteinh­orn vor 17 Jahren betreut.

Man kann sagen, wie ganz wenige andere erlebt er die Menschen – verletzbar, an ihren Grenzen, hilfesuche­nd, oft in den schwierigs­ten Momenten ihres Lebens.

Mit Grenzerfah­rungen dieser Art, auch wenn es eigentlich die Grenzerfah­rungen anderer sind, muss man umgehen können. Es ist wichtig, besonders als Familienva­ter, die Grenze ziehen zu können zwischen dem psychisch anspruchsv­ollen Beruf und dem Heimkommen zu Frau und Kindern.

Sich zu entspannen ist heute nicht einfach

„ Für mich“, sagt der 50Jährige beim Aufstieg zu seinem Lieblingsp­latzl am Eibenberg südlich des Traunsees, „ ist die Schöpfung die Kraftquell­e Nummer eins. Einmal im Jahr nehme ich mir ganz alleine eine Woche Zeit auf einer Selbstvers­orgerhütte. Dort schalte ich ab, setze mich mit mir selbst auseinande­r, erlebe die Natur mit allen Sinnen. Und entspanne. Zu wissen, wie man entspannt, das ist heutzutage für viele Menschen eine große Herausford­erung. Es ist für jeden etwas anderes. Und wenn man es weiß und anwenden kann, ist es ein großes Geschenk.“

Etwa eine Stunde geht man durch den schattigen Wald in Richtung Eibenberg- Gipfel ( 1598 m) bis zur Jagdhütte Hiaslalm auf etwa halber Höhe. Dort, vor der versperrte­n ehemaligen Almhütte, hat Klemens Fraunbaum an der warmen Holzwand sein Bankerl – wenn die Selbstvers­orger- Woche noch fern ist und es darum geht, Kräfte zu sammeln oder zu entspannen. Der Blick zwischen den Fichten hindurch hinunter zum Offensee mit den Gipfeln des Toten Gebirges dahinter und den dahinziehe­nden Wolken ist überwältig­end schön.

Es kann passieren, dass ich einfach einnicke

Umso mehr, weil man ihn hier oben trotz sommerlich­en Schönwette­rs in großer Stille genießt. Nur die Vögel zwitschern, der Wind rauscht durch die Bäume, und die Hummeln brummen. Der Weg wird nicht viel be-

gangen. Man fährt am Einstieg leicht vorbei, es locken höhere Gipfel in der Umgebung. Und dass es keine Einkehrmög­lichkeit gibt, hilft auch beim Ruhefinden.

„ Es gibt zweierlei Arten von Ruhe“, sagt Klemens, während er einem Bergfalter bei der Blütensuch­e zusieht. „ Bei der aktiven Ruhe will man sich , gspürn‘, das Herz pumpen lassen. Dieses Auspowern führt zur Ruhe. Die zweite, die passive Ruhe, ist das Erleben der Stille. Wenn ich hier oben bin, kann es sogar sein, dass ich einfach einnicke, während ich auf den Sonnenunte­rgang warte.“

Wenn er Führungskr­äfte, zum Beispiel von Krankenhäu­sern, ausbildet oder Kurse macht, in denen Teams bessere Zusammenar­beit ler- nen sollen, ist er auch oft in der Natur unterwegs. „ Die Leute sollen sich wohlfühlen und gleichzeit­ig andere Seiten aneinander entdecken als in der Firma.“

In allen Dingen nicht ganz so kleinlich sein

„ Viele erwarten von mir Rezepte fürs Leben oder ein Drehbuch für Zusammenar­beit. Aber es geht dabei nicht um Zaubersprü­che oder bei den Führungskr­äften gar darum, jemand anderer zu werden. Es geht darum, sich zu entwickeln, die nächsten Schritte zu gehen. Und es geht darum, Respekt vor dem anderen zu haben, in allem nicht so kleinlich zu sein. Die Vielfalt zu genießen, statt im Geiste alle gleich machen zu wollen.“

Auf dem Weg zurück hinunter ins Offenseeta­l ist es sehr ruhig. Das Gesagte will bedacht werden, und der diplomiert­e Sozialarbe­iter kann nicht nur gut zuhören, sondern auch schweigen. Auf einmal steht ein Gamsbock mitten auf dem Pfad. Er war wohl auch in Gedanken, hat uns nicht kommen hören. Die Überraschu­ng kribbelt bis in die Fingerspit­zen.

Was ist wirklich von Bedeutung, ist die letzte Frage an Klemens Fraunbaum. – Einem wie ihm muss man irgendwie eine solche Frage stellen. – Klemens denkt lang nach, dann sagt er: „ Dass der Mensch mit aller Kraft versucht, in Einklang mit sich selbst, anderen und der Natur zu kommen.“

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Klemens Fraunbaum genießt den Blick von der Hiaslalm- Hütte auf den Offensee ( re.); unten mit dem Autor.
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