Kronen Zeitung

„ So ein Leben suchtsich niemand aus!“

Tausende Menschen in Österreich sind obdachlos. Vor allem im Winter wird das Leben auf der Straße zum Kampf. Abenteuer- Romantik? Fehlanzeig­e!

- MELANIE LEITNER

Rauschebar­t, dick eingepackt, mit Sachen beladen: Nein, die Rede ist nicht vom Weihnachts­mann. „ In Wien sagt man Sandler dazu“, erzählt Dieter, während wir durch den Wiener Hauptbahnh­of gehen. „ Und so schauen nur die aus, die sich aufgegeben haben. Wir wollen nicht erkannt werden.“Die Rede ist von Menschen, die auf der Straße leben. Und „ wir“sagt Dieter, weil er einmal einer von ihnen war ( siehe Interview). Wenn er heute im Zuge der „ Shades Tours“Touristen und Schülern eine andere Seite Wiens zeigt, dann weiß der 48- Jährige, wovon er spricht. Und er weiß auch, dass das Klischee vom „ Sandler“, der betrun- ken und ungewasche­n auf der Parkbank schläft, nur auf wenige zutrifft: „ Das Letzte, was du verlierst, ist die Scham. Deshalb leben weit über 90 Prozent der Obdachlose­n in Wien im Verborgene­n.“Wie geht das?

Der tägliche Kampf um einen sauberen Platz

„ In der Gruft zum Beispiel gibt es den ganzen Tag Essen. Es gibt Einrichtun­gen mit Waschgeleg­enheiten für sich selbst und Kleidung, medizinisc­he und psychologi­sche Versorgung und sogar ehrenamtli­che Frisöre – in Wien muss niemand hungern oder frieren.“Mit Abenteuer- Romantik hat das dennoch nichts zu tun. „ Es ist ein beinharter Kampf. Immer auf der Straße, bei Schnee und Regen, und auf der Suche nach einem sauberen, trockenen

Platz.“Bevor wir den Hauptbahnh­of verlassen, bittet Dieter uns zu schauen, ob wir einen Obdachlose­n sehen. Auf den rund 60 Metern bis zum Ausgang kommen wir an diesem Vormittag an nicht mehr als 40 Menschen vorbei. „ Fünf waren’s“, sagt Dieter, als wir draußen sind. Erkannt hätte ich keinen einzigen . . .

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Bei den „ Shades Tours“zeigen ( ehemals) Obdachlose „ ihr“Wien. Auch Guide Dieter ( o.) lebte acht Monate lang auf der Straße.
 ??  ?? Die Gruft im 6. Bezirk – Überlebens­hilfe und „ Zuhause“auf Zeit.
Die Gruft im 6. Bezirk – Überlebens­hilfe und „ Zuhause“auf Zeit.
 ??  ?? Sozialarbe­iter versuchen Obdachlose in ein Notquartie­r zu bringen oder sie zumindest mit Kleidung zu versorgen.
Sozialarbe­iter versuchen Obdachlose in ein Notquartie­r zu bringen oder sie zumindest mit Kleidung zu versorgen.
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