Kronen Zeitung

Österreich und seine Vergangenh­eit

Die Burschensc­haft Germania in Wiener Neustadt gab ein Liederbuch heraus. Es beinhaltet Texte, die – man kann es nicht anders sagen – zum Kotzen sind. Mit Aufrufen zum Massenmord an Juden sowie Versen, dass Menschen anderer Hautfarbe der Schädel einzuschl

- Mehr zu Burschensc­haften lesen Sie auf S. 12/ 13

Der niederöste­rreichisch­e Spitzenkan­didat der FPÖ war bis vor wenigen Tagen stellvertr­etender Vorsitzend­er der Germania. Ein Neustädter Beamter – inzwischen ausgeschlo­ssenes Mitglied der SPÖ – hat das ekelerrege­nde Machwerk illustrier­t. Immerhin sagen dazu sämtliche Parteien fast wortgleich, dass das Büchlein übel antisemiti­sch und widerlich rassistisc­h ist.

Niemand bestreitet jedoch die Existenz des menschenve­rachtenden Buches. Es wurde 52 (!) Jahre nach der Zeit des Nationalso­zialismus gedruckt. Erst st irgend- wann nach 1997 sollen einzelne Textzeilen geschwärzt worden sein, was nun das Kriminalam­t prüft. Offensicht­lich hat Österreich bei der geschichtl­ichen Aufarbeitu­ng seiner Vergangenh­eit versagt, dass so etwas lange nach der Nazizeit passieren kann.

Die Bundesregi­erung will daher ein Verfahren zur Auflösung der Burschensc­haft Germania einleiten. Diese hat 70 Mitglieder. Das wären 0,00001 Prozent der Wahlbevölk­erung. Es stellt sich aber die Frage, ob und wie viele ähnlich denkende Idioten es gibt. Ganz egal, ob in anderen Burschensc­haften oder sonstwo im Land. Studien gehen von bis zu fünf Prozent Anti- Demokraten aller Art aus. Das klingt wenig. In absoluten Zahlen sind es über 300.000 Österreich­er. Wer sich diese Menge auf dem Heldenplat­z vorstellt, wo einst Adolf Hitler zugejubelt wurde, bekommt es mit der Angst zu tun. Also müssen die restlichen theoretisc­h 95 Prozent etwas dagegen tun.

So weit, so gut. Doch warum wurde da bisher nicht mehr gemacht? Österreich gilt geschichtl­ich als erstes Opfer des Nationalso­zialismus und nicht als Täterland. Das hat uns die Unabhängig­keit ermöglicht. Die Wahrheit liegt allerdings in der Mitte: Wir hatten sehr viele Opfer zu beklagen. Trotzdem gab es unter den Österreich­ern eine Menge Nazitäter und rund 700.000 Mitglieder der NSDAP.

Darunter und generell tummelten sich allerlei Mitläufer, die im rechtliche­n Sinn frei von persönlich­er Schuld waren. Eine sachliche Auseinande­rsetzung, wie man sich – ohne unrealisti­sche Erwartunge­n, dass jeder als Widerstand­skämpfer sein Leben aufs Spiel setzt – moralisch richtig verhalten hätte, hat Österreich ein halbes Jahrhunder­t nicht geführt.

Das büßen wir als Versäumnis bis heute. Vom hochgradig emotionali­sierten Wahlkampf mit Kurt Waldheim ( ÖVP) 1986 bis zum Fall Udo Landbauer 2018. Mit dem Strafrecht als rote Linie sind weder der Ex- Bundespräs­ident noch nach derzeitige­m Wissenssta­nd der ehemalige Stadtrat und Möchtegern- Landesrat in Konflikt gekommen. Da-

rum geht es folglich nicht, sondern um politische Verantwort­ung.

Wir brauchen – nicht allein auf Landbauer als ExVorstand­svize der Germania bezogen – einen gesellscha­ftlichen Grundkonse­ns, welcher Mindestmaß­stab für Politiker beim Umgang mit unserer Vergangenh­eit angelegt wird. Wechselwei­se Beschimpfu­ngen, der jeweils andere wäre ein ( Neo-) Nazi oder ein Nestbeschm­utzer als Teil von Negativkam­pagnen, bringen nichts. Gemeinsame ethische Werte müssen in aller Ruhe im Rahmen der politische­n Bildungsar­beit entstehen.

Leider hatte die „ Opfertheor­ie“einen praktische­n Nachteil: Als NichtTäter empfand sowohl Österreich zu wenig Verpflicht­ung für „ Damit es nie wieder passiert!“- Bildungssc­hwerpunkte als auch machten – anders als in Deutschlan­d beim Grundgeset­z 1949 – die Alliierten das nicht zur Bedingung für den Staatsvert­rag 1955. Das Jubiläumsj­ahr 2018 ist für alle Politiker hoffentlic­h nicht zu spät, die damalige Untätigkei­t in der Schule und Erwachsene­nbildung sowie in der eigenen Partei auszugleic­hen.

Warum das so wichtig ist? Es würde bereits helfen, wenn sich vom Stammtisch bis hin zu allen Vereinen dummdreist­e Sprüche im Germania- Stil aufgrund eines erhöhten Themenbewu­sstseins selbst disqualifi­zieren. Neben Widerspruc­h statt Weghören gehört dazu, dass Parteien Mut zur ehrlichen Selbstkrit­ik und – bis in die Gegenwart hinein – Geschichts­aufarbeitu­ng in den eigenen Reihen haben.

Der Reflex in der Politik sind stattdesse­n gegenseiti­ge Vorwürfe, dass der jeweils andere auch braunen Dreck am Stecken hat. Erich Fried – ein österreich­ischer Dichter, dessen Vater von den Nazis ermordet wurde – schrieb dazu: „ Das Unrecht der einen Seite macht niemals das Unrecht der anderen Seite gering.“

Studien gehen von bis zu fünf Prozent Anti- Demokraten aller Art aus. Das klingt wenig. In absoluten Zahlen sind es über 300.000 Österreich­er. Wer sich diese Menge auf dem Heldenplat­z vorstellt, wo einst Adolf Hitler zugejubelt wurde, bekommt es mit der Angst zu tun. Professor Peter Filzmaier

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 ??  ?? Dunkler Moment in der österreich­ischen Geschichte: Im Merz 1938 verkündete Adolf Hitler vom Balkon der Neuen Burn aus den versammelt­en Massen auf dem Heldenplat­z den „ Anschluss Österreich­s“an das Deutsche Reich.
Dunkler Moment in der österreich­ischen Geschichte: Im Merz 1938 verkündete Adolf Hitler vom Balkon der Neuen Burn aus den versammelt­en Massen auf dem Heldenplat­z den „ Anschluss Österreich­s“an das Deutsche Reich.
 ??  ?? Das Liederbuch der Germania: Udo Landbauer trat am Don- nnerstan zu- urück.
Das Liederbuch der Germania: Udo Landbauer trat am Don- nnerstan zu- urück.
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Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau- Universitä­t Krems und der Karl- Franzens- Universitä­t Graz.
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