Kronen Zeitung

Die Zeichen stehen auf Sturm

Britannien taumelt in einem Polit- Tohuwabohu der Stunde der Wahrheit entgegen

- DEN BUNDESKANZ­LER BEGLEITET „ KRONE“- REDAKTEUR K. SEINITZ K. S.

LONDON. Großbritan­niens Kämpfer für die EU sind ein kleiner Haufen, aber dafür lautstark. Mit Megafonen brüllen sie in die Downing Street hinein: „ No Brexit! No Brexit!“

Theresa May kann die Dauerbesch­allung kaum überhören, auch nicht, als sie den EU- Ratsvorsit­zenden Sebastian Kurz in Number 10 empfing – in ihrer dunkelsten Stunde. Diese Frau ist durch die Revolte in ihrer Regierung schwer gedemütigt, aber sie hat unheimlich­e Steherqual­itäten. Nichts ist ihr anzumerken, cool geht sie ihren Weg.

May erläuterte Pläne für „ weichen Brexit“

Kein Wort darüber, wie sie das weitere Schicksal ihrer Regierung einschätzt. Stattdesse­n erläutert sie dem Kanzler im Detail ihren Fahrplan für einen „ weichen Brexit“.

Dabei stehen die Zeichen auf Sturm – für diese Regierung und für Britannien. 9 Monate vor dem Ausscheide­n aus der EU taumelt das Land in einem politische­n Tohuwabohu der Stunde der Wahrheit entgegen. Zwei Jahre nach dem Brexit- Votum sind noch gar keine richtigen Verhandlun­gen mit der EU aufgenomme­n.

Chaostage in London: Nach der Revolte in ihrer Regierung droht Theresa May die Revolte in ihrer Partei mit den Hardlinern, die einen strikten Bruch mit der EU anstreben. Und die Revolte kann schon in den nächsten Tagen in ein Misstrauen­svotum im Parlament münden.

Kommen Neuwahlen? Kommt ein Machtwechs­el zur Labour- Party, die in der Brexit- Frage ebenfalls gespalten ist?

Mit steinernem Gesicht sitzt Theresa May im Unterhaus auf der Regierungs­bank, als sei nichts geschehen, während ihr LabourChef Corbyn, selbst ein EUSkeptike­r, von der anderen Front Bench und mit höhnischer Begleitmus­ik aus den Reihen der Opposition ent- gegenschle­udert: „ Wie kann irgendjema­nd der Premiermin­isterin zutrauen, einen Deal mit 27 EU- Regierunge­n zustande zu bringen, wenn sie nicht einmal einen Deal in ihren eigenen Reihen schafft?“

Die Regierungs­chefin zeigt Entschloss­enheit

Zäh und hartnäckig bekundet Theresa May die Entschloss­enheit, unbeirrt an ihrem Kompromiss­kurs festzuhalt­en, nämlich aus der EU auszutrete­n, danach aber möglichst eng an die EU anzudocken. Allerdings: Es gibt im Unterhaus keine Mehrheit mehr, für nichts, während die Uhr tickt.

Um im Lande Shakespear­es die Frage aller Fragen zu stellen: Kommt der Königinnen­mord?

Ober- Rebell Boris Johnson wettert im Abschiedsb­rief gegen die Erniedrigu­ng Großbritan­niens zur „ Kolonie der EU“, klingt aber, als gäbe er die Schlacht verloren: „ Der Brexit- Traum stirbt, er- stickt von unnötigen Selbstzwei­feln.“

Britische Minister gehen, die britische Regierung kann sich kaum noch im Sattel halten, aber die Brexit- Problemati­k bleibt. Das britische Wahlvolk würde sich nach all den schlechten Erfahrunge­n der letzten zwei Jahre gewiss kein zweites Brexit- Ja mehr antun. Anderersei­ts ist das Geschehene auch nicht mehr rückgängig zu machen.

Das heißt: Die Hardliner und Störenfrie­de haben die beste Zeit hinter sich. Wenn Theresa May oder ein anderer Brite, der noch nicht völlig den Verstand verloren hat, entschloss­en den Kurs eines „ weichen Brexits“durchzieht, dann besteht die Chance, den Selbstzers­törungspro­zess des Landes doch noch aufzuhalte­n.

Zumal die EU die Bestrafung­sgelüste nach dem Referendum verloren hat. Dennoch können die Austrittsv­erhandlung­en noch zum Albtraum werden.

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Weicher Brexit?

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