Wird Kroatien diese Chance nutzen?
Das Fußball- Sommermärchen hat Kroatien in einen nationalen Taumel gestürzt. Das ist gut so, falls dieser Energiestoß auch in einen wirtschaftlichen Aufbruch und eine gesellschaftliche Modernisierung mündet.
Kroatien hat bisher zwei Chancen nicht ausreichend genutzt: die Unabhängigkeit und den Beitritt zur EU.
Das Land steckt in einer wirtschaftlichen Dauerkrise. Der nationale Aufbruch richtet sich leider nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit und Vorvergangenheit.
Der wirtschaftliche Rückstand und die Rückwärtsgewandtheit Kroatiens sind eine europäische Enttäuschung. Viel zu viele Kriegsgewinnler und nationalistische Betonköpfe sitzen noch an politischen Schaltstellen, und viel zu viel altes Jugo- Denken blockiert das Vorwärtsstreben.
( Karl Marx hat einst den Sozialismus als Explosion aller schöpferischen Kräfte des Menschen bezeichnet. Das hat im Tito- Staat
ebensowenig funktioniert wie in den anderen KPStaaten. Diese kollektive Verantwortungslosigkeit wirkt in Kroatien bis heute nach).
Die Urlauber im schönen Dalmatien – Kroatiens mondäne Bühne – merken nicht, wie das Hinterland dahindümpelt. Slawonien, die alte Korn- und Fleischkammer der k. u. k. Monarchie, ist zum Armenhaus verkommen.
Die Strukturschwächen Kroatiens, verschärft durch landespolitische Gegensätze, sind trotz EU- Hilfe noch immer nicht aus der Welt geschafft. Das Land leidet unter einem Auswanderungsproblem.
Die Besten gehen. Ansonsten läuft alles viel zu langsam im alten Trott. Die Vergangenheit hängt wie ein Klotz am Bein.
Die Beine der Fußballmannschaft – der Nachkriegsgeneration – haben sich offenbar davon befreit, wie überhaupt alles davon abhängt, was diese Generation aus Kroatien macht. Wenn das Sommermärchen der WM 2018 als Sprungbrett für den nationalen Aufbruch in die Zukunft genutzt wird, braucht man sich um Kroatien keine Sorgen zu machen. Das Potenzial ist da, es muss sich nur aus den Fesseln der Vergangenheit befreien: zur zweiten Befreiung nach 1991.