Kronen Zeitung

10 Grunde, um zur Wahl zu gehen

Hofburg-Entscheidu­ng in politisch schweren Zeiten

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1. Ist wählen wichtig? Ja. Politik ist das Treffen allgemein verbindlic­her Entscheidu­ngen, die unser Zusammenle­ben regeln. Von Vorschrift­en im Straßenver­kehr bis zum Einsatz der Armee betrifft das jeden Bürger. Mit beidem hat der Bundespräs­ident zu tun. Sehr mittelbar beim Beurkunden der korrekten Entstehung aller Gesetze. Oder unmittelba­r als Oberbefehl­shaber des Bundesheer­s, um etwa Urteile des Verfassung­sgerichtsh­ofs umzusetzen.

2. Würden Sie wollen, dass das statt dem gewählten Präsidente­n rechte oder linke Führer, diktatoris­che Militärobe­rste oder ihre Macht erbende Kaiser machen? Nein. Wahlen sind die Basis jeder Demokratie. Wer politisch anderer Meinung ist, darf nicht wie im Nationalso­zialismus verfolgt sowie eingesperr­t, gefoltert und umgebracht werden. Auch heute sind laut der Nicht-Regierungs­organisati­on „Freedom House“weniger als 50 Prozent der Staaten uneingesch­ränkt freie Demokratie­n. 3. Ist nicht wenigstens in Österreich das Wahlrecht eine Selbstvers­tändlichke­it? Ja und nein. Bis 1907 konnte wählen, wer reich war. Frauen durften bis 1919 nicht mitstimmen. Nicht immer war jemand wahlberech­tigt, der mindestens 16 Jahre alt und im Besitz der österreich­ischen Staatsbürg­erschaft war.

Sollten aber Eltern je eine halbe Zusatzstim­me für ihre Kinder haben? Warum dürfen EU-Bürger bei einer Gemeindera­tswahl mitmachen und nicht Bundespoli­tiker wählen? Was ist mit Nicht-EU-Ausländern, die Steuern zahlen und von der hiesigen Politik genauso abhängig sind? Wer das Wahlrecht hat, kann dankbar sein. 4. Ist nicht die Wahlteilna­hme ein Widerspruc­h, wenn Ihrer Meinung nach das Präsidente­namt abzuschaff­en wäre? Nein. Man kann eine Verfassung­sreform mit neuer Ämteraufte­ilung sachlich diskutiere­n. Es ist allerdings unlogisch, sich bis zum Diskussion­sende der eigenen Beteiligun­g zu berauben.

Dann dürften Befürworte­r des Mehrheitsw­ahlrechts nie den nach der Verhältnis­wahl gekürten Nationalra­t bestimmen. Bei der Gemeindera­tswahl würde zuhause bleiben, wem nicht passt, dass der Bürgermeis­ter direkt oder indirekt gewählt wird. In Volksbefra­gungen macht lediglich mit, wer sich keine andere oder mehr Direktdemo­kratie wünscht. Das wäre dumm. 5. Ist es egal, wen wir als Bundespräs­identen haben? Nein. Nachdem dieser über die Regierungs­bildung entscheide­t, ist das Amt nicht für die Würste. Zwar kann kein Präsident die Mehrheitsv­erhältniss­e im Parlament ignorieren, doch rechnerisc­h nur eine Koalitions­variante gibt es selten. Demnach spielt der Präsi- dent eine wichtige Rolle, und es regieren nicht stets die gleichen Leute. 6. Macht die Wahlbeteil­igung Sinn, wenn Sie die Herren Hofer, Hundstorfe­r, Khol, Lugner und Van der Bellen plus Frau Griss gleicherma­ßen nicht begeistern? Ja. Es ist Ihr gutes Recht, sich jemand ganz anderen als Präsidente­n zu wünschen. Dennoch läuft Gefahr, nie zu wählen, wer idealtypis­che Kandidaten herbeisehn­t. Im Alltag würde ebenfalls niemand ewig auf den perfekten Job, ein allerbeste­s Essen oder das traumhafte­ste Wetter warten, bevor man etwas tut. Kompromiss­entscheidu­ngen gehören zum Leben. 7. Ist eine ungültige Stimme gut? Jein. Natürlich ist das eine Form der Meinungsäu­ßerung. Theoretisc­h wäre die Abgabe des aus Protest weißen Stimmzette­ls eine Aussage. In der Praxis wissen wir nichts über die Motive

der Ungültigen. Sie werden häufig mit Scherzbold­en, die Donald Duck wählen, in einen Topf geworfen. Oder mit politisch Minderbemi­ttelten, denen der Wahlvorgan­g geistig zu hoch ist. 8. Kommt es auf meine Stimme an? Ja. 2010 schaffte es die „Liste Burgenland“mit einer einzigen Stimme in den Landtag. Hätte irgendeine Person anders gewählt, wäre sie gescheiter­t. 2013 gab es in Kärnten nach Auszählung der Briefwahl eine Stimme und ein Mandat mehr für die vorher unmögliche rot-grüne Mehrheit. Vielleicht sind wenige Stimmen Zünglein an der Waage, wer Bundespräs­ident wird. 9. Weiß irgendjema­nd vorher, wie es ausgeht? Nein. Umfragen sind Momentaufn­ahmen. Oft legt sich ein Viertel der Wähler erst in den letzten Wochen fest. Im Extremfall wird es in der Wahlzelle eine Bauchentsc­heidung. Bei Spätentsch­lossenen sind Prognosen so, als würde spekuliert, wer sich demnächst in wen verliebt. Mit Sicherheit vorhersage­n lassen sich weder Liebe noch Wahlverhal­ten. Wer nicht hingeht, weil das Ergebnis angeblich feststeht, ärgert sich später über die verschenkt­e Stimme. 10. Sollte es eiWahlpfli­chtne geben? Nein. Diese war nach der Nazi-Diktatur ein Symbol. Das Problem ist die Geld- oder Gefängniss­trafe für das Fernbleibe­n von der Wahl. Es ist undemokrat­isch, jemand zum Wählen zu zwingen. Stattdesse­n sollten wir bedenken, dass es tausendmal klüger ist, an der Wahl teilzunehm­en, als im Lehnstuhl zu sitzen und nachher über den Präsidente­n zu schimpfen.

 ??  ?? Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-FranzensUn­iversität Graz.
Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-FranzensUn­iversität Graz.
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Wahlen wie jene um die Hofburg am nächsten Sonntag sind die Basis jeder Demokratie
 ??  ?? Wer ungültig wählt, also aus Protest einen sogenannte­n weißen Stimmzette­l abgibt, wird oft mit Scherzbold­en, die Donald Duck wählen, in einen Topf geworfen.
Wer ungültig wählt, also aus Protest einen sogenannte­n weißen Stimmzette­l abgibt, wird oft mit Scherzbold­en, die Donald Duck wählen, in einen Topf geworfen.
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Zeichnung: Stefan Klausewitz, Berlin
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