„Das Schlimmste ist die Ungewissheit“
Am 30. August ist der „internationaleTag der Vermissten“. In der „Krone“spricht die Familie eines jungen Mannes, der im Herbst 2015 spurlos verschwand. Und zwei Fahnder berichten über ihren schwierigsten Fall.
So viele Dinge in der geräumigen Wohnung in Wien-Währing erinnern an ihn. In der Küche das große Häferl, aus dem er oft seinen Morgenkaffee getrunken hat; im Vorraum seine Lieblings-Sneakers; und an den Wänden hängen überall Fotos, die Arian zeigen. Als Baby, als Kleinkind, als Teenager, als jungen Mann. Beim Spielen, beim Baden im Meer, bei Ausflügen.
„Er war unglücklich, deshalb lief er weg“
Und sein Zimmer, es sieht noch genauso aus, wie er es zum letzten Mal verlassen hat. Auf dem Schreibtisch liegen CDs von Popgruppen, seine Tuchent und sein Kopfpolster sind mit bunter Bettwäsche überzogen, im Kasten stapeln sich Sweat-Shirts, die er so gerne trug.
„Wenn mein Sohn wieder nachhause kommt“, sagt Regina Schramm-Saraie (53), die Mutter des 23Jährigen, „soll hier alles sein wie damals.“Wie am 9. November 2015, „diesem fürchterlichen Tag, an dem mein Sohn plötzlich verschwand.“
Arian war vier, als Ärzte bei ihm Autismus diagnostizierten, „davor war uns aufgefallen, dass er wenig sprach und oft sehr in sich zurückgezogen wirkte.“
Die Eltern und später auch die jüngere Schwester Roxana – sie ist heute 19 – schafften es immer gut, mit der Krankheit des Buben umzugehen, „wir haben einfach akzeptiert, dass er ein wenig ,anders‘ ist“. Verschlossen, meist in eigenen Gedanken- welten verfangen; mitunter unfähig, über sein Innerstes zu sprechen. Hochbegabt und geistig zurückgeblieben zugleich. Ein Mathe-Genie. Aber kaum dazu imstande, einen Aufsatz zu schreiben.
Nach Abschluss der Pflichtschule einen Job für ihn zu finden war schwierig. „Er hätte gerne in einer Auto-Waschstraße gearbeitet, aber kein Tankstellenbesitzer wollte ihm eine Stelle geben. Also sahen wir keinen anderen Weg, als ihn in einer Behindertenwerkstätte unterzubringen.“
Wo er sich nie wohl fühlte. „Bereits im Sommer 2015 büxte er einmal von dort aus“, erzählt Roxana. Drei Tage lang galt Arian in der Folge als vermisst – bis er in Salzburg von der Polizei aufgegriffen wurde.
„Danach haben wir ihn vielleicht zu sehr kontrolliert“, macht sich seine Mutter jetzt Vorwürfe, „nirgendwo durfte er mehr alleine hingehen“. Im vergangenen Herbst die Tragödie: „Mein Sohn nutzte einen unbeobachteten Moment, um von seinem Arbeitsplatz wegzulaufen.“
Zuerst dachte seine Familie, er würde bald gefunden werden. „Aber mit jedem Tag, mit jeder Woche, die verging, wurde unsere Hoffnung kleiner.“Aufrufe über soziale Netzwerke und Medien, Plakataktionen, Interpol-Fahndungen, die Einrichtung einer Telefon-Hotline (0650/9442147) – „aber nichts brachte Erfolg“.
„Alle Hinweise führten ins Nichts“
Doch, schon, eine Bekannte von Regina Schramm-Saraie entdeckte auf der Webseite eines Fotografen ein Bild von Arian, geschossen am 15. Dezember, bei einem Weihnachtsmarkt auf dem Karlsplatz. Der 23-Jährige wirkt auf dem Foto – auf das er zufällig geraten war – gut gelaunt; er trägt eine Hose und einen Sweater, die ihm zu groß sind; in der linken Hand hält er einen „Coffeeto-go“.
Und es gab ja auch Hinweise. „Wiederholt riefen Menschen bei uns an, die Arian gesehen haben wollten.“In Supermarktfilialen, in Begleitung einer älteren Dame – in Wien-Meidling.
„Wir gingen in den betreffenden Gebieten umher, suchten nach ihm.“Vergeblich. Seit dem Frühjahr kein einziger Tipp mehr, wo der 23-Jährige sein könnte. „Das macht uns sehr unruhig“,
schluchzt seine Mutter. Die Ungewissheit, diese peinigende Ungewissheit, „sie ist schlimm“.
Lebt Arian überhaupt noch? „Wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, dass es ihm gut geht und er sich bald bei uns meldet.“
„Vielleicht hat ihn ja irgendjemand bei sich zuhause aufgenommen“, hofft seine Schwester.
„Vielleicht ist er im Flüchtlingsstrom untergetaucht und befindet sich längst in einem anderen Land“, sagen die Eltern.
Der Vater stammt aus dem Iran: „Unser Sohn sieht südländisch aus, er spricht Persisch. Möglicherweise gibt er sich als Asylant aus.“
Ein anderer Fall. Was ist mit Karl Buchmaier geschehen? Diese Frage versuchen Roman Strauß und Günther Harrer von der Kripo in der Steiermark seit fast 15 Jahren zu klären.
Verschwunden – bei einer Zugfahrt
„Der 57-Jährige“, so die Beamten, „stieg am 1. Dezember 2011 mit Peter Lackner, ebenfalls 57, in Leibnitz in einen Zug.“Das Ziel der beiden Frühpensionisten sollte Leoben sein, „dort wollten sie gemeinsam eine Wohnung beziehen“. Doch am Grazer Bahnhof habe Buchmaier die Fahrt unterbrochen, „um einen Arzt aufzusuchen.“Seitdem fehlt vom ehemaligen Pferdeknecht jede Spur.
Im März 2012 beging Lackner Suizid. „Wir hatten ihn unzählige Male einvernommen“, sagen die Fahnder: „Wir glauben nicht, dass er etwas mit dem Verschwinden seines besten Freundes zu tun hatte.“
Ist Karl Buchmaier einem Unfall oder einem Verbrechen zum Opfer gefallen – oder hat er sich abgesetzt? „Wir wissen es nicht.“
Dass Langzeit-Abgängige mitunter so plötzlich auftauchen, wie sie verschwunden sind, beweist ein Fall aus dem Burgenland. Fast dreieinhalb Jahre lang galt da ein Mann als vermisst. Dann meldete er sich telefonisch bei einem Verwandten. „Ich habe in Deutschland ein neues Leben begonnen. Bitte sucht nicht mehr nach mir.“