Hat er auch Lucile ermordet?
Robin L. führte in Tirol ein unauffälliges Leben. Dann geriet er unter den Verdacht, 1993 in Deutschland ein Mädchen getötet zu haben. Vor seinem Verhör beging der Mann Suizid. Jetzt überprüft die Kripo, ob er 2014 in Kufstein eine französische Austauschs
Eswar am 27. Oktober, als deutsche Ermittler nach Tirol kamen, um eine Vernehmung zu einem fast geklärten Tötungsdelikt durchzuführen. Mit Robin L., 36, verheiratet, Molkereiarbeiter.
2002 – da hieß er noch U. – war er aus seiner Heimat Brandenburg weggegangen, 2010 hatte er sich in dem beschaulichen Ebbs bei Kufstein niedergelassen und dort fortan ein völlig unauffälliges Dasein geführt. Doch an diesem Herbsttag holte ihn seine Vergangenheit ein. „Herr L., gestehen Sie, wir wissen ohnehin Bescheid . . .“
Die Fahnder meinten die „Causa Andrea Lohagen“.
Der mysteriöse Tod einer Schülerin
Rückblick auf den 7. Oktober 1993: Gegen 18.30 Uhr verlässt die 16-Jährige im 85 Kilometer von Berlin entfernten Bad Belzig ihr Elternhaus. Sie will in ein Jugendzentrum, nimmt eine Abkürzung über einen Waldpfad. Und kommt nie an ihrem Ziel an.
Suchaktionen bleiben erfolglos. Rasch geraten zwei Mitschüler des Mädchens unter Verdacht. David Sch. (14) und Robin U. (13). Beide gelten als schwer erziehbar, sie haschen, trinken Alkohol. Zeugen berichten, sie hätten die Burschen gesehen, bei Andrea, auf ihrem letzten Weg. „Ja, wir haben kurz mit ihr gesprochen, über nichts Besonderes. Und dann ist sie auch schon weitergelaufen“, geben die zwei der Kripo zu Protokoll.
„Es gab damals einfach keine Beweise gegen sie“, sagt ein Beamter nun, „und auch nicht im Juni 2000.“Als in einer heruntergekommenen Holzhütte die skelettierte Leiche der „Vermissten“gefunden wurde. Gerichtsmediziner konnten noch den Grund für Andreas Tod feststellen: Schläge, gegen ihren Kopf. Es war also Mord.
Abermals Verhöre mit David Sch. und Robin U.: „Keine Ahnung, wer so etwas Schreckliches getan hat.“Der Fall schien damit unlösbar.
Im Spätsommer 2016 plötzlich der Durchbruch. Im Mai war David Sch., mit 37, in einer Berliner Schnellbahn verstorben, an einer inneren Blutung. Nach einem schweren Bauchspeicheldrüsenleiden und einem Leben am Rande der Gesellschaft; in Arbeitslosigkeit, im Drogenrausch und Suff.
„Er sagte, er wolle auspacken …“
Irgendwann hatte der Mann einer Freundin von seinem Früher erzählt, davon, dass er und ein Kumpel – fast noch im Kindesalter – einen Mord begangen hätten. An Andrea Lohagen.
Wochen nach Sch.s Beerdigung legte die Frau, stellvertretend für ihn, ein Geständnis ab. Wodurch der einst beste Freund des Toten ins Fadenkreuz der Polizei geriet: Robin L., ehemals U.
„Bei unserem Treffen erklärten wir ihm“, so ein Fahnder, „dass er keine Konsequenzen für eine eventuelle Tatbeteiligung zu befürchten habe. Denn zum Zeitpunkt des Verbrechens ist er 13 – also strafunmündig – gewesen. Wir baten von ihn bloß, endlich die Wahrheit zu sagen.“Bloß die Wahrheit . . .
. . . vor der Robin L. so lange geflüchtet war.
Ruhig habe er bei dem Gespräch gewirkt, „er beteuerte, er sei bereit auszupacken. Aber zuerst wolle er vor seiner Familie die Beichte ablegen. Und er bat um einen weiteren Termin, 48 Stunden später.“
Dann ging der 36-Jährige noch einmal in seine Wohnung im dritten Stock eines schmucken Mehrparteienhauses in Ebbs. Schrieb einen Abschiedsbrief an seine Frau: „Liebe E., wenn du diese Zeilen liest, bin ich bereits tot …“, zog Wanderschuhe an, stieg in seinen blauen Opel Insignia und fuhr los, zum 15 Kilometer entfernten Pendling. Einen 1500 Meter hohen Berg.
Und dann stürzte er sich von einem Berg
Vor einem Gasthaus parkte er den Wagen, marschierte zum Gipfel. Wo er sich in die Tiefe stürzte. Am 4. November fand ein Jäger, auf einem Plateau unterhalb einer Felswand, seinen zerfetzten Körper.
Warum musste Andrea Lohagen sterben? Unter welchen Umständen? Was war davor geschehen? Die Antworten auf diese Fragen hat Robin L. mit ins Grab genommen.
Hatte er noch ein zweites fürchterliches Geheimnis? Die Tiroler Kripo hält das für möglich.
Am 11. Jänner 2014, kurz vor Mitternacht, wurde Lucile Klobut (20), eine französische Austauschstudentin, auf der Innpromenade von Kufstein mit einer Eisenstange erschlagen. Als sie gerade auf dem Weg zu einer Uni-Kollegin war. Minuten vor ihrem Tod hatte sie noch mit ihrer Freundin per Handy telefoniert: „Ich bin gleich bei dir …“
Und dann begegnete sie ihrem Mörder. Der trotz umfangreicher Ermittlungen bis heute nicht gefasst werden konnte. Aber: Er hat bei seinem Delikt seine DNA hinterlassen. Sie soll nun mit der von Robin L. verglichen werden.
Beide Opfer wurden erschlagen
Fakt ist: Die Taten an Andrea und Lucile weisen frappierende Parallelen auf. Beide Opfer waren blond und sehr hübsch. Beide hatten sich, in der Dunkelheit, an einsame Orte gewagt. Beide starben durch Angriffe gegen ihre Schädel. Wer war Robin L.? „Ein stiller Typ, der stets freundlich grüßte und abends meist daheim war“, sagen seine Nachbarn. „Ein fleißiger Mensch, der nie zu spät zum Dienst gekommen ist“, sagen seine Kollegen in der Käserei einer Milchfabrik, wo er sechs Jahre hindurch gearbeitet hatte: „Aber jetzt begreifen wir,
wie wenig wir eigentlich von ihm gewusst haben.“
Nie habe er von sich erzählt. Nichts darüber, wo er aufgewachsen war; nichts über seine Interessen oder wie er seine Freizeit verbrachte. „Von seiner Heirat 2013 erfuhren wir bloß, weil er danach einen anderen Nachnamen trug. Täglich ging er mit uns in die Kantine essen und hörte uns beim Reden zu. Wir dachten, er sei halt ein bisschen schüchtern.“Und seine Frau? „Wir lernten sie erst kennen, als sie nach seinem Tod verzweifelt zu uns in die Firma kam.“
Bis zuletzt hatte die Kellnerin nichts von dem schlimmen Verdacht gegen ihren Mann geahnt.
Luciles Mörder hat am Tatort Teile seiner DNA hinterlassen. Sie werden nun in komplizierten Labor-Verfahren mit dem genetischen Code von Robin L. verglichen. Walter Pupp, Kripo-Chef in Tirol