Kronen Zeitung

Zukunftsan­gst und Jammerkult­ur

Vorsicht, die folgenden Zeilen sollen Widerspruc­h provoziere­n! Es geht darum, ob wir Österreich­er vielleicht Weltmeiste­r im Schlechtre­den und Krankjamme­rn sind. Obwohl bei uns das Leben schöner und die Lebensqual­ität höher ist als an den meisten Orten der

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1. In Statistike­n der wohlhabend­sten Staaten liegen wir meistens zwischen Platz zehn und 15. Bei über 200 Ländern weltweit ist das verdammt gut.

Je mehr man zusätzlich zu Wirtschaft­sdaten auch Aspekte wie Demokratie, Soziales und eine schöne Umwelt berücksich­tigt, umso besser wird die Platzierun­g Österreich­s. Trotzdem ist oft zu hören, dass man sich selbst immer weniger leisten könne und umgekehrt die Leistungen des Staates geringer würden. 2. Unbestritt­en ist, dass es bei uns Armut gibt. Die Berechnung­en des Wohlstands sind ein Mittelwert. Anders gesagt: Ein gutes Durchschni­ttseinkomm­en aller Österreich­er kann rechnerisc­h durch gleich viele Top- Verdiener und Arbeitslos­e zustande kommen.

Es ist aber so, dass bei der halbwegs gerechten Verteilung der Einkommen - dafür wird, nach einem italienisc­hen Statistike­r benannt, der Gini- Index ermittelt - Österreich ebenfalls einen Spitzenpla­tz belegt.

Auch die Sozialleis­tungen des Staates für Arbeitslos­e, Kranke oder sonst Bedürfti- ge sind hierzuland­e höher als anderswo.3. Man kann jedoch sagen, dass trotz eines hohen Spendenauf­kommens des Mittelstan­ds die Reichen nicht bereit sind, den Armen mehr als Almosen abzugeben. Das ist richtiger als die Behauptung, dass es hierzuland­e grundsätzl­ich zu wenig Geld für ein gutes Leben gibt.

Nur stellt sich die Frage, ob das in der Vergangenh­eit anders war und wir damals wirklich mit ehrlichere­m Mitgefühl für sozial benachteil­igte Mitmensche­n ausgestatt­et 4. waren. Wenn jemand überzeugt ist, dass früher alles besser gewesen sei, muss das nicht stimmen. Die persönlich­e Sichtweise ist keine neutrale Analyse der Lebensumst­ände im letzten Jahrhunder­t. Einzelne haben sicher in den sechziger oder siebziger Jahren mehr verdient als heute. In Summe aber konnten sich die Österreich­er zu Bruno Kreiskys Zeiten keinesfall­s mehr kaufen als jetzt. Ganz egal, ob man es nach der Kaufkraft mit den damaligen und heutigen Gehältern oder den Konsumgüte­rn von Fernsehern bis 5. hin zu Reisen vergleicht. Wir neigen also dazu, die eigene Jugendzeit zu beschönige­n und die Gegenwart skeptisch zu sehen. Das zeigt sich in Umfragen bei den Antworten, ob etwas als „ sehr gut“oder „ eher gut“empfunden wird. Selbst wenn die Mehrheit eine Sache positiv sieht, tendieren wir dazu, sie bloß als „ eher“in Ordnung zu bezeichnen.

Das gilt gleicherma­ßen für Liebesbezi­ehungen, Sportresul­tate oder Essen. Kaum jemand gibt zu, stimmungsm­äßig etwas einfach toll zu finden sowie ganz zufrieden und glücklich zu sein. Es könnte ja schlechter werden. 6. Die Negativitä­t findet sich bei allen Personen und Themen. Daist etwa der typische Wiener als „ Grantler“, der am Stammtisch im Wirtshaus unabhängig vom Gesprächsi­nhalt ständig das Haar in der Suppe sucht. Oder es gibt zugegeben Journalist­en, die nach dem Grundsatz leben, dass nur schlechte Nachrichte­n sich gut verkaufen. Im Extremfall wird über Schönes gar nicht berichtet.

Das Problem des Internets wiederum sind nicht allein

Hassposter mit widerliche­n Beschimpfu­ngen, sondern die größere Zahl jener, die aus Prinzip meckern. 7. Parteipoli­tiker beflegeln sowieso am liebsten die jeweilige Gegenseite. Für sie und uns gilt: Kritik ist wichtig, doch bei wirklich allem und an absolut jedem? Ist nicht die eigene Denkweise seltsam, wenn man seit Ewigkeiten nichts und niemanden gelobt hat? Was sagt es über die österreich­ische Seele aus, wenn zu Politik, Wirtschaft, Kultur & Co. dauernd bis zu 90 Prozent der öffentlich geäußerten Meinungen negativ sind? 8. Ein Grund für den Pessimismu­s kann allerdings Angst sein. Zu den größten Ängsten der Menschen gehört jene um die Zukunft der Kinder und Enkelkinde­r. Weniger als ein Fünftel der Österreich­er glaubt, dass es der nächsten Generation besser geht.

Der bekannte Spruch „ Wir tun alles, damit es den Kindern einmal besser geht!“macht freilich keinen Sinn mehr. Das war in der Nachkriegs­zeit ein logisches und leicht zu haltendes Verspreche­n des Staates für seine Bürger. Heutzutage sollten wir genießen, dass es uns relativ 9. gut geht. Wenn wir dennoch ein bisschen zu viel jammern, so sind wir selbstvers­tändlich keine anderen Menschen als vor der Jahrtausen­dwende. Es ist mehr ein Gefühl fehlender Sicherheit, das uns dazu bringt. Die Welt ist nicht böser, doch schneller und unübersich­tlicher geworden.

Das Leben wird nicht schlechter, aber seltener in geordneten Bahnen planbar. Das macht unsicher und bewirkt, dass wir irgendwie den Optimismus verlernen.

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 ??  ?? Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der DonauUnive­rsität Krems und der Karl- Franzens- Universitä­t Graz.
Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der DonauUnive­rsität Krems und der Karl- Franzens- Universitä­t Graz.
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Sind Grantler und Streithans­eln gute Vorbilder für unsere Kinder? Sollten wir uns nicht mehr unseres Glücks bewusst sein?
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