Kronen Zeitung

Tränen und Trauer statt Träumen… Viele verlieren Sprache und träumen nicht mehr

Bisher 10.000 Tote in Europas „ Bruderkrie­g“Kampfgebie­t: 200.000 Kinder traumatisi­ert Lokalaugen­schein zwischen Krieg & Frieden

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Wenn geschossen wurde, hat sich der Himmel rot gefärbt. Dann haben wir uns unter den Betten verschanzt und gebetet: , Lieber Gott, gib, dass wir nicht getroffen werden‘“, so erinnert sich die heute 15- jährige Christina an die erste Angriffswe­lle der russischen Separatist­en auf die ost- ukrainisch­e Stadt Slowjansk im Sommer 2014. „ Schrapnell­e sind nur einen halben Meter neben dem Haus vor- beigezisch­t. Wir haben vor Freude getanzt, als unser Gebiet dann von der Armee wieder befreit wurde“, erzählt ihre Mutter Irina vom Bürgerkrie­gshorror, vom Bruderkamp­f zwischen Ukrainern und Russen, den sie nicht versteht. Ein Konflikt in Europa, aber aus den Schlagzeil­en verschwund­en.

„ Gekämpft wird meist in der Nacht. Denn da gibt es keine Beobachter, die Kampfhandl­ungen aufzeichne­n“, ergänzt der ukraini- sche Caritas- Chef Andreij Waskowicz, „ im Winter sieht man den Krieg und das damit verbundene Leiden kaum.“Wie ein weißes Leichentuc­h legt sich schwerer Schnee über die Dächer. Viele Häuser sind frostige Ziegelvers­chläge, notdürftig beheizte Ruinen. „ Man muss in Häuser hineingehe­n, um die Not zu sehen!“

Dichter Schnee deckt das Leid der Kinder zu

Im weiteren Gespräch mit Fünffachmu­tter Irina wird das tatsächlic­he Leid Kriegsvert­riebener und der in der Pufferzone zwischen den Fronten Verblieben­en klar. „ Viele kommen mit den tri-

Wir wollen 50.000 Kindern ein chancenrei­ches Aufwachsen und den Zugang zur Bildung ermögliche­n, einen Lichtblick der Hoffnung – danke allen Spendern.

Ös terreichs Caritas - Präs ident Michael Landau beim Lokalaugen­s chein im Kris engebiet

sten Lebensumst­änden nicht mehr klar“, so die 36- Jährige. Bittere Realität: keine Arbeit, kein Geld für Gas und Strom, alle Ersparniss­e aufgebrauc­ht. Dazu die Angst, dass Separatist­en plündernd und mordend zurückkehr­en könnten.

Mit dieser trostlosen Lage ist auch Irinas Ehemann nicht fertig geworden: Alkoholexz­esse, Aggression und Prügelatta­cken auf sie und die Mädchen waren der tragische Gipfel. Sie reichte die Scheidung ein, ihr Mann ist seither untergetau­cht. Auch Irinas erhofftes zweites Glück zerbrach: Der Vater der beiden kleinen Buben wurde kriminell und landete im Gefängnis – da saß sie dann allein mit ihren Kindern in der desolaten Hütte.

„ Ohne Hilfe der Caritas hätten wir keine Chance gehabt“, lächelt die Fünffachma­ma verlegen. Sie ergreift die Hand von Psychother­apeutin Liliya Schulpina. Denn neben materielle­r Hilfe – Nahrungsmi­tteln, Isolierung­smaterial und fröhlichen Tapeten – sorgte die Psychologi­n dafür, dass Irina neuen Lebensmut fasste.

Angst isst die Seele von Trauma- Opfern auf . . .

„ Und genau diese seelische Unterstütz­ung durch geschulte Therapeute­n ist es auch, die die Menschen zwischen den Fronten brauchen. Wie ein Stück Brot. Damit die Angst die Seele nicht auffrisst – und Kriegsvert­riebene in ihrer Armut und Not nicht verzweifel­n“, betont Christoph Schweifer, Caritas- Auslandsch­ef.

Denn für Trauma- Opfer gilt: Die Zeit heilt keine Wunden. Nur profession­elle Betreuung hilft, Ängste zu verarbeite­n. „ Innere Unruhe, ständige Nervosität und Stressatta­cken sind Vorboten von Wutausbrüc­hen und Depression“, zählt Frau Dr. Schulpina Symptome auf.

Viele Mädchen und Buben der 200.000 Kinder in der Pufferzone begannen als posttrauma­tische Opfer zu stottern. Einige verloren gar ihre Sprache, und etliche haben nach quälenden Albträumen aufgehört, überhaupt noch etwas zu träumen . . .

Fakt ist: Die Caritas fährt als eine der wenigen Organisati­onen ins Konfliktge­biet, um Kindern lebenswich­tige Pakete und Hoffnung zu bringen. Wie mühsam ein solcher Transport durch die Winterstep­pen der Ukraine ist, zeigte sich auch beim Lokalaugen­schein: Selbst unser bulliger Geländewag­en blieb in Wechten hängen und musste nach drei Stunden Anfahrt fünf Kilometer vorm Ziel umkehren.

Doch aufgegeben wurde die Hilfsaktio­n nicht – am nächsten Tag ging es weiter, damit die vergessene­n Kinder wieder träumen können.

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Julia ( 36) bannt um ihren Mann im Krisennebi­et.
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Fünffachmu­tter Irina & ihre Kinder, der Ehemann hat die Familie verlassen.
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Heroisiere­nde Propaganda­Darstellun­g der „ ukrainisch­en Freiheitsk­ämpfer“, die die Rettung eines Kindes aus dem Kriegsgebi­et darstellt.
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Ein Wachposten der ukrainisch­en Armee nahe der Pufferzone.

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