Grenz- Erfahrung mit Schafen
Wirreisen durchsLand und stellen die schönsten Plätze Österreichsvor. Heute Bildein im Burgenland mit Julia Elpons.
Erstens, zweitens, drittens, zählt Julia Elpons auf, während ihre beiden Kinder und drei Bordercollie- Hütehunde auf unserem Spaziergang um sie kreisen, wie Kometen um einen Stern.
Collie- Dame „ Chica“hat eindeutig die schnellste Umlaufbahn erwischt, Töchterchen Friederike ( 5) die engste, und vom siebenjährigen Lausbuben Ludwig fliegen immer wieder kleine Meteoriten weg, wenn er Wegsteine in der Pinka versenkt.
„ Es gibt drei Dinge, die für mich Glück ausmachen“, sagt Julia ( 37). „ Erstens, ein Nest zu finden, in dem man sich wohlfühlt. Zweitens einen Partner zu finden, mit dem man sein Leben verbringen kann. Drittens einen Beruf zu finden, der einem Freude bereitet. Und ich“, sagt sie lächelnd und putzt der verschnupften Friedi die Nase, „ bin ein Glückskind!“
Dabei war nicht abzusehen, dass es die gebürtige Welserin einmal als BioSchafbäuerin nach Bildein, ein 350- Seelen- Dörfchen an einem der östlichsten Zipfel des Südburgenlands, verschlagen würde.
Beim Studium in Wien brachte sie der Zufall mit dem aus Lieboch ( Stmk.) stammenden Alex zusammen. Gemeinsam verbrachten sie ein paar Arbeitssommer auf der Alm. Und als sie auf diese Weise auch ihre gemeinsame Liebe zur Landwirtschaft entdeckten, ging es darum, wo und wie man sich den mutigen Traum vom eigenen, hauptberuflichen Bauernhof leisten könnte.
Da bot sich das Südburgenland an, mit seinem ge- mütlichen und aufgrund der Geschichte mit Vielfalt vertrauten Menschenschlag.
Das Örtchen Bildein zum Beispiel legte bereits vor der Grenzöffnung zu Ungarn Wert darauf, das „ Dorf ohne Grenzen“zu sein. Aber Julia erlebte vor elf Jahren sehr wohl noch, wie es sich dort vor dem Schengen- Abkommens lebte. „ Es ist großartig, was sich seitdem hier für die Menschen verändert hat. Und unser Musik- Festival , Picture- On‘ ist nur ein Beispiel dafür“, sagt sie.
An der Pinka steht heute die Zeit still
„ Wir sind ja an drei Seiten umgeben von der ungarischen Grenze. Als die zeitaufwendigen Passkontrollen wegfielen, war plötzlich die 80.000- Einwohner- Universitätsstadt Szombathely in 20 Autominuten erreichbar. Und es wäre fein, wenn’s so bliebe. Alex und ich bemühen uns nicht nur, in Bildein aktiv mitzutun. Wir glauben, dass die Grenzregion immer mehr verschmelzen wird. Deshalb haben wir Ungarisch gelernt und die Kinder in einen ungarischen Kindergarten geschickt. Ich denke, das könnte in Zukunft wichtig sein. In der Gegend geht es ja weiter, auch wenn die Nation eine andere ist.“
Der Umkehrpunkt unserer Spazierrunde am Fluss ist erreicht. Die Sonne geht lang- sam unter und taucht die Uferbäume und Sträucher am Grenzsteg in flaches, goldenes Winterlicht. Der große Schnee im Westen hat es nicht bis hier geschafft.
Dafür rascheln die trockenen Blütenrispen des Schilfs im Wind und spiegeln sich im stillen Wasser der Pinka. Hier, bei Bildein, fließt sie so langsam, dass man sich nicht sicher ist, in welche Richtung. Wie wenn die Zeit gerade stillsteht – ein Moment, der ans bewusste Genießen des Augenblicks erinnert.
Julia schätzt das sehr. Auch, weil sie zu so einem Spaziergang nur selten kommt. Meist führt sie auf diesem schönen Uferweg mithilfe der Hütehunde einen Teil ihrer gut 400 Krainer Steinschafe von und zu den Pachtweiden. Keins der Lämmer darf verloren gehen, und die vierbeinigen Feinschmecker sollten auch möglichst nicht die Saat von Nachbars Acker erwischen.
Schön, wenn man keine anderen Sorgen hat
Außerdem stecken Julia und Alex gerade mitten im kraftraubenden Hausbau. „ Auch das ist eine Grenz- Er-
fahrung“, sagt Julia augenzwinkernd. „ Meine Mama hat einmal sinngemäß gesagt, man kann Magenweh haben, weil man sich wochenlang nicht über die Farbe der Bad- Fliesen einigen kann. Aber was für ein Privileg, wenn man keine anderen Probleme hat! Mir wird dann bewusst, dass 99 Prozent unserer Sorgen eigentlich Luxusprobleme sind. Und das macht mich demütig, zufrieden und dankbar.“
Dankbar ist die Biobäuerin auch für jene Grenz- Erfahrung, die das plötzliche Dorfleben einer ehemaligen Städ- terin wie ihr beschert hat: „ In der Stadt gibt es so viele Menschen, dass man sich die, mit denen man sich umgibt, aussuchen kann. Den anderen kann man aus dem Weg gehen. Auf dem Land lernt man viel eher, mit jemandem eine Ebene zu finden. Und wenn man sich auf das einlässt, dann entdeckt man an jedem etwas, über das man sich austauschen kann. Und sei es das gemeinsame Problem der Erdflöhe im Kohlbeet“, sagt Julia und lacht: „ Auch das bedeutet Anteilnehmen am Leben der anderen.“