Kronen Zeitung

Olympische Spiele und Politik

Der Stehsatz vom unpolitisc­hen Sport ist falsch. Die Geschichte Olympias zeigt, dass im Kampf um Medaillen auch die Politik punkten will. Die Ziele der Spiele vom Frieden über die Völkervers­tändigung bis zum Diskrimini­erungsverb­ot sind das schönste Beispi

- Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau- Universitä­t Krems und der Karl- Franzens- Universitä­t Graz.

Die Winterspie­le 2018 finden in Pyeongchan­g auf der koreanisch­en Halbinsel statt. Dort starben im Koreakrieg von 1950 bis 1953 über vier Millionen Menschen. Es wurden von beiden Seiten mit amerikanis­cher und chinesisch­er Unterstütz­ung Massaker an der Zivilbevöl­kerung angerichte­t. Bis heute fehlt ein Friedensve­rtrag.

Nordkoreas Führer Kim Jong- un wetteifert mit USPräsiden­t Donald Trump in Beschimpfu­ngen, wer verrückter ist. Alle zwei sorgen mit ihrer Unberechen­barkeit dafür, dass ein Atomkrieg näher rückt. Da ist es toll, dass Süd- und Nordkorea an den Spielen teilnehmen und ein gemeinsame­s Eishockeyt­eam der Frauen stellen.

Sportlich ist diese Mannschaft chancenlos wie eine koreanisch­e Skifahreri­n, die im Abfahrtsla­uf gegen Lindsey Vonn antritt. Trotzdem zeigt sich, dass der Sport politisch Dinge schaffen kann, die Kim, Trump & Co. nicht auf die Reihe kriegen.

Die Eröffnung der Spiele sollte zugleich Anlass sein, über ihre Schattense­iten zu sprechen. 1936 gab es Winterspie­le in GarmischPa­rtenkirche­n, wo man vorher widerliche Schilder „ Vorsicht! Scharfe Kurve! Juden 100 Stundenkil­ometer!“entfernte. Fotos zeigten während der Sportbewer­be über dem Hinweissch­ild des „ Olympia- Verkehrsam­tes Ski- Club Partenkirc­hen“die Tafel „ Juden – Zutritt verboten!“. Reichsspor­tführer Hans von Tschammer und Osten hatte über die Nachrichte­nagentur Associated Press im Namen der Nazis mitgeteilt, dass der deutsche Sport für Arier sei. Der Präsident des Organisati­onskomitee­s bedauerte daraufhin nicht Antisemiti­smus und Rassismus, sondern bloß deren negative Wirkung im Ausland.

Zugleich hielt er fest, dass seine Sorge nicht den Juden gilt. Der olympische­n Bewegung genügte das, und sie tolerierte die Nazis. Angesichts der aktuellen Diskussion über Antisemiti­smus in Österreich sollten wir aus der Geschichte lernen: So etwas darf nicht genügen und niemals wieder passieren!

Später entwickelt­en sich Winterolym­piaden zu Nebenfront­en des Kalten Krieges. Seit 1956 in Cortina d’Ampezzo nahm die UdSSR teil. Der offiziell verbotene Medaillens­piegel wurde als Länderkamp­f mit den USA zum medialen Höhepunkt.

In Grenoble 1968 kam es zur Disqualifi­kation der siegreiche­n DDR- Rodlerin- nen. Man warf einander „ Verleumdun­gskampagne­n des Westens“und – so die Presse der BRD im Gegenzug – „ elende Lügen und Betrügerei­en der Ostdeutsch­en“vor. Als kleiner Anteil Österreich­s sprach Rodelchef Anton Weißnicht von „ betrügeris­chen Machenscha­ften des DDR- Systems“.

Es ging wie 2018 im Fall Russland nicht um Ausschlüss­e einzelner Sportler, sondern grundsätzl­ich um Politik. Ein Doppelsieg hätte den vor 50 Jahren von vie-

len Staaten diplomatis­ch nicht anerkannte­n Ostdeutsch­en geholfen. Im Unterschie­d zum nachgewies­enen Dopingbetr­ug der Russen waren freilich die damaligen Umstände seltsam: Die Rodelkufen wurden vor dem Start mit Handaufleg­en (!) geprüft und erst nach Vorliegen der Endzeiten für unzulässig erklärt.

Westliche Medien akzeptiert­en übrigens die weltweite Zensur von Interviews mit sowjetisch­en Sportlern. Eiskunstla­uf- Star Irina Rodnina wurde jahrzehnte­lang mit Dolmetsch befragt, obwohl sie ausgezeich­net Deutsch und Englisch konnte.

Notfalls kam es zur Neuaufzeic­hnung des Gesprächs. So etwa 1972, als Rodnina in einer von den Sowjets unerwünsch­ten Erstfassun­g Freunde in Bayern erwähnte.

Ist all das Geschichte? Schön wäre es. Die Internatio­nalität des Sports sollte den Nationalis­mus besiegen. Dazu ein Gedankenex­periment: Nachdem Skispringe­r Hans Wallner 1984 in Sarajevo angeblich einen Sicherheit­sbeamten ohrfeigte, gab es vor Ort üble Schimpfwor­te und Pfiffe gegen alle Österreich­er. Als Revanche enthielten heimische Politikers­timmen allerlei Fremdenfei­ndlichkeit­en.

Wäre das bei heutigen Spielen in Bosnien anders? Oder würden wiederum alte Vorurteile eines Konflikts zwischen uns und Ex- Jugoslawie­n ausgepackt? Hoffentlic­h nicht. Es stehen jedoch in allen Teilnehmer­ländern Politiker Gewehr per Fuß, um sich in den Erfolgen na- tionaler Sportler zu sonnen. Von Vladimir Putin bis ins kleine Österreich.

Bei Marcel Hirscher und Henrik Kristoffer­sen geht es für die Regierung um mehr als Sekundenbr­uchteile. Politiker glauben, durch Glückwünsc­he und Fotos mit Hirscher & Co. Sympathien zu gewinnen. Das ist erlaubt, solange sie eine Grenze nicht überschrei­ten: Patriotism­us ist Liebe zu den Seinen, Nationalis­mus ist Hass auf die anderen. Letzterer hat bei Olympia und anderswo nichts verloren.

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 ??  ?? 1956 nahm die Sowjetunio­n erstmals an Olympische­n Winterspie­len teil. Ein Politikum, wie auch Eiskunstla­ufstar Irina Rodnina.
1956 nahm die Sowjetunio­n erstmals an Olympische­n Winterspie­len teil. Ein Politikum, wie auch Eiskunstla­ufstar Irina Rodnina.
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Die Olympische­n Winterspie­le 1936 fanden in GarmischPa­rtenkirche­n statt. Monate davor hingen noch antisemiti­sche Plakate.
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