Olympische Spiele und Politik
Der Stehsatz vom unpolitischen Sport ist falsch. Die Geschichte Olympias zeigt, dass im Kampf um Medaillen auch die Politik punkten will. Die Ziele der Spiele vom Frieden über die Völkerverständigung bis zum Diskriminierungsverbot sind das schönste Beispi
Die Winterspiele 2018 finden in Pyeongchang auf der koreanischen Halbinsel statt. Dort starben im Koreakrieg von 1950 bis 1953 über vier Millionen Menschen. Es wurden von beiden Seiten mit amerikanischer und chinesischer Unterstützung Massaker an der Zivilbevölkerung angerichtet. Bis heute fehlt ein Friedensvertrag.
Nordkoreas Führer Kim Jong- un wetteifert mit USPräsident Donald Trump in Beschimpfungen, wer verrückter ist. Alle zwei sorgen mit ihrer Unberechenbarkeit dafür, dass ein Atomkrieg näher rückt. Da ist es toll, dass Süd- und Nordkorea an den Spielen teilnehmen und ein gemeinsames Eishockeyteam der Frauen stellen.
Sportlich ist diese Mannschaft chancenlos wie eine koreanische Skifahrerin, die im Abfahrtslauf gegen Lindsey Vonn antritt. Trotzdem zeigt sich, dass der Sport politisch Dinge schaffen kann, die Kim, Trump & Co. nicht auf die Reihe kriegen.
Die Eröffnung der Spiele sollte zugleich Anlass sein, über ihre Schattenseiten zu sprechen. 1936 gab es Winterspiele in GarmischPartenkirchen, wo man vorher widerliche Schilder „ Vorsicht! Scharfe Kurve! Juden 100 Stundenkilometer!“entfernte. Fotos zeigten während der Sportbewerbe über dem Hinweisschild des „ Olympia- Verkehrsamtes Ski- Club Partenkirchen“die Tafel „ Juden – Zutritt verboten!“. Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten hatte über die Nachrichtenagentur Associated Press im Namen der Nazis mitgeteilt, dass der deutsche Sport für Arier sei. Der Präsident des Organisationskomitees bedauerte daraufhin nicht Antisemitismus und Rassismus, sondern bloß deren negative Wirkung im Ausland.
Zugleich hielt er fest, dass seine Sorge nicht den Juden gilt. Der olympischen Bewegung genügte das, und sie tolerierte die Nazis. Angesichts der aktuellen Diskussion über Antisemitismus in Österreich sollten wir aus der Geschichte lernen: So etwas darf nicht genügen und niemals wieder passieren!
Später entwickelten sich Winterolympiaden zu Nebenfronten des Kalten Krieges. Seit 1956 in Cortina d’Ampezzo nahm die UdSSR teil. Der offiziell verbotene Medaillenspiegel wurde als Länderkampf mit den USA zum medialen Höhepunkt.
In Grenoble 1968 kam es zur Disqualifikation der siegreichen DDR- Rodlerin- nen. Man warf einander „ Verleumdungskampagnen des Westens“und – so die Presse der BRD im Gegenzug – „ elende Lügen und Betrügereien der Ostdeutschen“vor. Als kleiner Anteil Österreichs sprach Rodelchef Anton Weißnicht von „ betrügerischen Machenschaften des DDR- Systems“.
Es ging wie 2018 im Fall Russland nicht um Ausschlüsse einzelner Sportler, sondern grundsätzlich um Politik. Ein Doppelsieg hätte den vor 50 Jahren von vie-
len Staaten diplomatisch nicht anerkannten Ostdeutschen geholfen. Im Unterschied zum nachgewiesenen Dopingbetrug der Russen waren freilich die damaligen Umstände seltsam: Die Rodelkufen wurden vor dem Start mit Handauflegen (!) geprüft und erst nach Vorliegen der Endzeiten für unzulässig erklärt.
Westliche Medien akzeptierten übrigens die weltweite Zensur von Interviews mit sowjetischen Sportlern. Eiskunstlauf- Star Irina Rodnina wurde jahrzehntelang mit Dolmetsch befragt, obwohl sie ausgezeichnet Deutsch und Englisch konnte.
Notfalls kam es zur Neuaufzeichnung des Gesprächs. So etwa 1972, als Rodnina in einer von den Sowjets unerwünschten Erstfassung Freunde in Bayern erwähnte.
Ist all das Geschichte? Schön wäre es. Die Internationalität des Sports sollte den Nationalismus besiegen. Dazu ein Gedankenexperiment: Nachdem Skispringer Hans Wallner 1984 in Sarajevo angeblich einen Sicherheitsbeamten ohrfeigte, gab es vor Ort üble Schimpfworte und Pfiffe gegen alle Österreicher. Als Revanche enthielten heimische Politikerstimmen allerlei Fremdenfeindlichkeiten.
Wäre das bei heutigen Spielen in Bosnien anders? Oder würden wiederum alte Vorurteile eines Konflikts zwischen uns und Ex- Jugoslawien ausgepackt? Hoffentlich nicht. Es stehen jedoch in allen Teilnehmerländern Politiker Gewehr per Fuß, um sich in den Erfolgen na- tionaler Sportler zu sonnen. Von Vladimir Putin bis ins kleine Österreich.
Bei Marcel Hirscher und Henrik Kristoffersen geht es für die Regierung um mehr als Sekundenbruchteile. Politiker glauben, durch Glückwünsche und Fotos mit Hirscher & Co. Sympathien zu gewinnen. Das ist erlaubt, solange sie eine Grenze nicht überschreiten: Patriotismus ist Liebe zu den Seinen, Nationalismus ist Hass auf die anderen. Letzterer hat bei Olympia und anderswo nichts verloren.