Blick ins weite Land der Seele
Festspiele Reichenau: Schnitzler, „ Vermächtnis“, Hermann Beil
Es gibt bekanntere Stücke Schnitzlers: „ Das Vermächtnis“( um 1900), im Burgtheater uraufgeführt, fristet heute eher ein Schattendasein. Es mag feinere, weniger offensichtliche Handlungen geben, doch als Analyse des menschlichen Agierens und Reagierens taugt das Werk allemal. Nun zu sehen in Reichenau. Viel Applaus!
Das Vermächtnis: Das ist der letzte Wunsch des sterbenden Sohns, sein uneheliches Kind und seine Geliebte im hochbürgerlichen Familienverband aufzunehmen. Keine leichte Sache für die anderen, die doch bitte Ruf und bürgerliche Scheinmoral zu wahren haben. Doch der letzte Wille zählt!
Arthur Schnitzler hat in gewohnter Manier die Mechanismen der Gesellschaft durchleuchtet, mehr noch: die Mechanismen der menschlichen Seelenregungen analysiert. Ganz gut – und ganz böse, diese Pole definiert er ebenso wie die zahllosen Graustufen dazwischen. Kann man aus seiner Haut? Wo beginnt Schuld, und wo endet sie?
In Reichenau zieren große Zickzacklinien den Bühnenhintergrund von Peter Loidolt: die Bruchlinien der Gesellschaft? Hermann Beil inszeniert einfach, geradlinig, offenkundig. Die vorhersehbare Geschichte bleibt vorhersehbar, doch das ist ohnedies nur der Rahmen.
Spannend ist, was in den Figuren passiert. Nämlich Offensichtliches: Man spielt groß, schreit am Ende, wenn auch das Leise unter die Rä- der kommt. Feinkörniger, mit mehr Blick in die Seele könnte dieser Schnitzler sein. Doch auch so entsteht ein mehr als achtbarer Abend: Regina Fritsch spielt die etwas Herbe, etwas Vereinsamte mit schöner Haltung. Joseph Lorenz gibt ein Kabinettstück des bewusst überzeichneten Professors, fast schon in die Groteske reichend. Stefanie Dvorak, Nanette Waidmann, Johanna Prosl sind ein berührendes Damenterzett.