„Die Flüchtlinge werden kommen“
Jordanien. Hunderttausende syrische Flüchtlinge können kaum überleben. Manche träumen von Europa
Mit einem verhaltenen Ächzen lässt sich Mohammed auf der am Boden liegenden Matratze nieder. Sessel besitzt der Syrer in seiner notdürftig hergerichteten Unterkunft nicht. Außerdem hat er Rückenschmerzen. Die rühren von den Schlägen her, die der 30-Jährige im Gefängnis in seiner syrischen Heimatstadt Homs erdulden musste.
Im März vergangenen Jahres war der Vater zweier Kinder von der Straße weg verhaftet worden. Er solle die Namen von Rebellen preisgeben, hieß es. Doch der Eisenwarenhändler hatte sich immer aus dem Krieg in Syrien heraushalten wollen, wusste nichts. Drei Monate später war er ohne Erklärungen wieder frei. „Noch am selben Tag haben meine Frau und ich die Kinder gepackt und sind über die Grenze nach Jordanien geflohen“, erzählt er.
Doch die Hoffnung, einigermaßen durchzukommen, bis der Krieg in Syrien zu Ende ist, hat sich zerschlagen. Wie die große Mehrheit der insgesamt 630.000 syrischen Flüchtlinge in Jordanien leben Mohammed, seine bildschöne junge Frau Breke und ihre zwei kleinen Kinder in bitterster Armut: in einem Zimmer ohne Möbel, mit einer Kochnische und einem Vorhang statt einer Tür.
Umgerechnet 110 Euro hat er monatlich dafür zu bezahlen. Doch die Miete musste Mohammed seit drei Monaten schuldig bleiben, nachdem ihn die jordanische Polizei zwei Mal beim Müllsam- meln aufgelesen hat. Syrische Flüchtlinge dürfen in Jordanien nicht arbeiten, nicht einmal den überall herumliegenden Plastikmüll aufsammeln, um ihn zu verkaufen. Denn die Flüchtlinge, die auf jeden Cent angewiesen sind und oft schwarz arbeiten, drücken die Löhne im Land und kosten viele Jordanier den Job.
Nichts mehr zum Essen
So sind die Flüchtlinge zu einem quälenden Nichtstun vergattert, zu wachsender Verzweiflung, während sich ihre Lage immer weiter verschlimmert: Seit 1. August erhalten sämtliche syrische Flüchtlinge, die außerhalb von Flüchtlingslagern leben, von der UNO fast keine Lebensmittelhilfe mehr. Grund: Die Geberländer sind ihre Spenden schuldig geblieben. 440.000 Menschen sind betroffen – Mohammed, seine Frau Breke, Sohn Amour (6) und Tochter Moura (1,5 Jahre) sind vier davon. Eine Katastrophe für die Familie: Kein Einkommen, kein Essen und bald nicht einmal ein Dach über dem Kopf – wenn nicht doch noch in letzter Minute eine Hilfsorganisation mit Lebensmittelbons oder einer Mietbeihilfe einspringt.
Asmas Mann hingegen will nur noch weg. Nach Europa, dort, wo es Arbeit gibt, wie er glaubt. Die schwarzen Vollschleier tragende 30-Jährige aus der syrischen Stadt Daara hat gehört, „dass es Schiffe geben soll, die nach Europa fahren. Ob es gefährlich ist? Ich weiß gar nichts davon. Das einzige, worum ich mich kümmere, ist, meine Kinder zu versorgen.“Und das ist kaum zu schaffen, in schimmelfeuchten zwei Zimmern, wo acht Menschen leben. Zwei ihrer vier kleinen Kinder sind geistesbehindert. Eine Tochter ist auf der Flucht gestorben. Ihre Lebensmittelbons, die sie von der Caritas erhalten hat, will Asma heute umtauschen: gegen Windeln. Dass sie oft auf Essen verzichtet, ist an ihrer schmalen Gestalt unschwer zu erkennen.
„Hilfe vor Ort wird mehr denn je gebraucht, sie ist überlebensnotwendig. Sie macht für die Menschen ei- nen großen Unterschied“, appelliert denn auch Christoph Schweifer, Generalsekretär der Auslandshilfe der Caritas Österreich. Wer an seinem Fluchtort nicht überleben kann, überlegt früher oder später, weiterzuziehen.
UNHCR-Sprecherin Aofie McDonnell hat in den vergangenen Wochen vier syrische Familien in Jordanien getroffen, wo sich ein Familienmitglied nach Österreich durchgeschlagen hat. „Es gibt unter den Flüchtlingen, vor allem den Gebildeten, einen Trend Richtung Europa. Und so lange es für Syrien keine politische Lösung gibt, werden die Flüchtlinge kommen.“