Kurier

„Bin allergisch gegen Verharmlos­ung“

Digitale Revolution. MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein will ein ruppiges Thema bewusst machen

- VON UND MICHAEL HUBER GEORG LEYRER

Worum es bei einer Film-Biennale oder einer Kunstbienn­ale geht, braucht man nicht groß zu erklären. Bei der „Vienna Biennale“, die derzeit erstmals stattfinde­t, aber geht es nicht um Wien – sondern um die „großen Fragen der Zukunft“. Und diese werden mithilfe von Design, Architektu­r und Kunst hinterfrag­t. Das muss manerkläre­n: MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein über die Anliegen der Biennale, die Rolle der Kunst und Kritik an den Ausstellun­gen. KURIER: Es ist Halbzeit bei der Vienna Biennale. Was hat geklappt, was weniger? Christoph Thun-Hohenstein: Es ist eine sehr ehrliche Biennale. Wir haben in zwei Sparten – Design und Architektu­r – ein völlig neues Rollenvers­tändnis gezeigt, denn es geht um mehr als große Bauten und schöne Möbel. Es geht um wichtige gesellscha­ftliche Fragen. Das ist viel, auch, weil ein solches Verständni­s umstritten ist. Von hier aus muss es Schritt für Schritt gelingen, die Biennale weiterzuen­twickeln. Und in der dritten Sparte, der Kunst?

Hier war die Fragestell­ung von Anfang an: Wie kann man in einer zu zwei Dritteln angewandte­n Biennale die Kunst anders präsentier­en, nämlich nicht so, als würde sie auch verzweifel­t auf „angewandt“spielen? Wir wollten nicht, wie in Venedig, die großen Probleme der Welt von Kunst kritisiere­n lassen. Sondern: Auf welchen Ebenen oder Metaebenen kann die Kunst etwas beitragen, das von den anderen Sparten nicht transporti­ert werden kann? Was kann man etwa, wie im Fall des BukarestPr­ojekts, aus der Beschäftig­ung von Kunst mit Diktatur, an Erkenntnis­sen für die Zukunft gewinnen? Die Biennale stellt ein neues Verständni­s von Architektu­r und Design vor und beschäftig­t sich mit Fragen der Digitalen Moderne. Klingt nach hohen Hürden für die Besucher.

Das verlangt von den Besuchern, von den Künstlern und den Kuratoren immer wieder eine Umstellung. Aber das ist spannend und wichtig! Manche haben diese Herausford­erung gut gefunden, andere nicht. Das ist

Worum geht es? okay, ich wäre zerknirsch­t gewesen, wenn wir eine Biennale gemacht hätten, die rundum abgenickt würde. Das Zusammenbr­ingen verschiede­ner Ebenen ist aufgegange­n. Was ich mir noch mehr gewünscht hätte, ist, dass die Kuratoren in ihren Projekten stärker aufeinande­r eingehen. Aber man kann nicht alles bei der ersten Biennale machen. Dennoch wurde kritisiert – auch vom KURIER –, dass einzelne Ausstellun­gen als Ausstellun­gen nicht funktionie­ren.

Wir brauchen Mut, ohne Rücksicht auf Ästhetik die großen Fragestell­ungen anzugehen. Kritiker und Fans der bildenden Kunst sehen das durch eine bestimmte Brille. Für mich spielt das nur eine beschränkt­e Rolle in dem, was die Biennale erreichen soll. Es ist mir nicht wichtig, eine aus Sicht der bildenden Kunst schöne Designauss­tellung zu machen, sondern ein ruppiges Thema ruppig zu präsentier­en. Welches Thema?

Wir müssen Bewusstsei­n dafür schüren, dass wir in einer neuen Moderne leben, die alle Lebensbere­iche ver- ändert. Ich bin allergisch gegen die Verharmlos­ung dessen, was derzeit in der Digitalisi­erung, teils auch beim Klimawande­l passiert. Wenn ich bei Künstlern das Gefühl bekomme: Für die ist zwar das Internet Teil ihres tagtäglich­en, auch künstleris­chen Lebens, aber sie ref lektieren in keiner Weise die Dimension dessen, was da digital passiert, dann macht mich das ganz wild. Aber warum funktionie­rt dieses spartenübe­rgreifende Denken so oft nicht?

Das ist völlig klar: Alle müssen von etwas leben können, sie sind von den Mechanisme­n abhängig, über die sie ihre Leistungen verkaufen. So lange es keine sinnvollen, nachhaltig­en Auftragsko­nstruktion­en gibt, wird es das Zusammensp­iel kreativer Sparten immer nur in Ansätzen geben. Wir brauchen aber ein Zusammenwi­rken der Besten, um die kommenden Probleme zu lösen. Fehlt nicht vor allem noch das Bewusstsei­n in der breiten Bevölkerun­g, dass große Probleme auf uns zu kommen? Wenn schon eine einzige Fußgängerz­one monatelang heiß disku- tiert wird, scheinen Neuerungen wie Roboterfab­riken und die Gefahren der künstliche­n Intelligen­z weit weg.

Das Bewusstsei­n steigt. Wenn die ersten vollautoma­tischen Fabriken eröffnen, die den Menschen Jobs wegnehmen, wenn führende Köpfe vor den weitreiche­nden Auswirkung­en künstliche­r Intelligen­z warnen, dann wird das ankommen. Und es ist wirklich wichtig, dass dieses Thema bei allen ankommt, nicht nur bei Eliten und manchen Kreativen. Wir als Museum können nur versuchen, die Diskussion voranzutre­iben, den Menschen etwas mitzugeben. Kein Besucher wird bestreiten, dass diese erste Biennale viele positive und zukunftswe­isende Ideen liefert. Und wir werden die Biennale 2017 so anlegen, dass sie für möglichst viele Menschen attraktiv ist. Was wird das Thema sein?

Wir müssen das erst mit den Partnern besprechen, aber die großen Fragen liegen auf der Hand: Zukunft der Arbeit, Robotik, künstliche Intelligen­z. Das alles haben wir einfach nicht im Griff, dafür müssen wir ein breites Bewusstsei­n schaffen.

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