UMJUBELTE FESTSPIEL-IRRUNGEN
Kritik. Henry Mason inszeniert die „Komödie der Irrungen“als Nestroy im Musicaltheater. Das Publikum jubelte
Erfolg. Vom Premierenpublikum heftig beklatscht wurde Shakespeares turbulente „Komödie der Irrungen“rund um verwechselte Zwillinge bei den Salzburger Festspielen. Florian Teichtmeister, TV-Star Claudia Kottal (Bild) und die anderen bekamen viele Bravo-Rufe.
Was ist schlimmer? Sich ein Leben lang unvollständig zu fühlen – oder sich plötzlich verdoppelt zu sehen? Immer auf der Suche nach der fehlenden zweiten Hälfte zu sein – oder ohne Vorwarnung mit dem eigenen Spiegelbild zu kollidieren?
Davon erzählt William Shakespeares „Komödie der Irrungen“: Durch einen Schiff bruch wird eine Familie auseinandergerissen, Zwillingsbrüder werden als Kleinkinder getrennt, der eine bleibt beim Vater, der andere verliert auch noch die Mutter. Während daher der eine weiß, dass ihm ein Bruder fehlt, hat der andere keine Ahnung, dass er als Zwilling geboren wurde. Die Zusammenführung der Familie am Ende ist daher für den einen Bruder die Erfüllung einer Sehnsucht – und für den anderen ein Schock.
Shakespeares frühes Stück – oft als unwichtig gescholten und selten gespielt – ist in Wahrheit eine meisterhaft gebaute (bzw. von Plautus geklaute) Verwechslungskomödie mit saftigen Figuren. Darüber hinaus erzählt sie von der Konstruktion von Identität: Ich bin ich, weil ich die anderen NICHT bin – was ist, wenn dann einer genau so ist wie ich? Und sie erzählt davon, wie der Verlust von sicherem Halt in der Wahrnehmung (die Zwillinge werden dauernd verwechselt, wissen aber selbst nichts davon) eine Gesellschaft kollektiv den Verstand verlieren lässt, bis man nach dem Exorzisten ruft.
Der aus England stammende Regisseur und Shakespeare-Experte Henry Mason hat für diesen spannenden Stoff eine neue Form gefunden und fuhr damit bei den Salzburger Festspielen völlig zu Recht einen Riesenerfolg beim Premierenpublikum ein. Es gab Jubel und Bravos (und einen einsamen, aber hartnäckigen Buh-Rufer, der beim übrigen Publikum für Amüsement sorgte).
Zum einen übersetzte Mason den Text neu (zum Teil in Reimen) und machte daraus wortspielfreudig und ohne Angst vor der Wuchtl einen ein wenig derben, aber sehr witzigen Nestroy. Wenn der Nestroy-gestählte, wieder einmal großartige Florian Teichtmeister als (ebenfalls verdoppelter) Diener Dromio unverschuldet durch die aberwitzigsten Kalamitäten stolpert und dabei Aphorismen aus der Hüfte schleudert, rechnet man jeden Mo- ment mit einem Couplet zu aktuellen politischen Fragen: Gebrauchtabgeordneter, Bastlerhit!
Soweit geht Mason dann doch nicht. Aber er macht, und das ist sein zweiter gelungener Trick, aus dem Stück ein Musical. Eine hervorragende dreiköpfige Band liefert geschmeidigen Jazzschlager-Sound, und das Ensemble überrascht mit guten Gesangsleistungen.
Auch gespielt wird gut. Neben Teichtmeister glänzt Thomas Wodianka als doppelter Antipholus und arbeitet dabei die charakterlichen Unterschiede der Brüder (großherzig der eine, ein verzwicktes Erfolgsbürscherl der andere) herrlich heraus. Nur mithilfe einer Kappe bzw. einer Brille springen Teichtmeister und Wodianka im Höllentempo durch ihre Doppelrollen. Meike Dröste wäre als Ehefrau am Rande des Zusammenbruchs noch besser, würde sie auf die spitzen Schreie verzichten – das zeigt Elisa Plüss als ihre plötzlich vom Schwager begehrte Schwester vor. Claudia Kottal ist eine sexy Kurtisane voller verborgener Trauer. Die anderen agieren achtbar.
Unter Wasser
Die Bühne steht unter Wasser, das ist zunächst einmal eine gefährliche Idee. Denn sie lädt Kritiker ein zu WortspielBemühungen wie „Schlag ins Wasser“, „Baden gehen“ und „Wenig Tiefgang“. Vor allem aber ist es eine stimmige Idee, schließlich ist der Text durchsetzt mit Wasser-Metaphern und erzählt vom Verlust sicheren Bodens. Die Besucher der ersten Reihe bekommen aus gutem Grund vor Vorstellungsbeginn Regenüberzüge ausgehändigt.
Fazit: Geboten wird teils geschmeidiger, teils ein wenig bemühter Slapstick, aber auch seriöses Schauspiel. Kritisch kann man anmerken, dass die Inszenierung eine halbe Stunde braucht, um in die Gänge zu kommen, und dass nicht jedes Wortspiel wirklich zündet. Trotzdem ist das Ganze ein Riesenspaß, und das soll im Theater auch einmal erlaubt sein.