Kurier

Hand in Hand mit Tante Le Pen Regionalwa­hlen in Frankreich.

Marine und Marion sind heute Favoritinn­en der Rechten – aber auch Rivalinnen

- DANNY LEDER (lang wallendes Traditions­gewand aus Nordafrika, Anm.)

Ich hatte zwei Mal Gelegenhei­t, ein Interview mit Marine Le Pen für den KURIER zu führen. Ein erstes Mal im Juni 2012, und damals lautete ihre Kernaussag­e: „Ich wünsche den Zusammenbr­uch der EU.“Beim zweiten Mal, im Mai 2014, schwärmte sie für Wladimir Putin: Der russische Staatschef würde „die Werte der europäisch­en Zivilisati­on verteidige­n“. Als ich um Präzisieru­ng bat, verwies sie auf „die Werte unseres christlich­en Erbes“– und verfiel unvermitte­lt in Gelächter.

Ich hatte nicht die nötige Geistesgeg­enwart, um die Vorsitzend­e des „Front National“(FN) zu fragen, warum sie ihre eigene Äußerung zum Lachen brachte. Dachte sie an ihren persönlich eher lockeren Umgang mit dem, was man gemeinhin unter christlich­er Sittenrege­l versteht? Wurde ihr plötzlich bewusst, wie absurd es wirkt, ausgerechn­et Putin zum ParadeEuro­päer zu stilisiere­n?

Party-Löwin

Es mag sein, dass in einem Land wie Frankreich, wo beißender Humor selten weit weg ist, auch eine nationalis­tische Politikeri­n sporadisch zu einem Anflug von Selbstiron­ie fähig sein muss. Und es gehört wohl zu den Verführung­skünsten der 47-Jährigen, dass sie das Selbstbild einer lässigen Zeitgenoss­in durchschim­mern lässt. So weiß man, dass die studierte Rechtsanwä­ltin als „Fetarde“(Party-Löwin) gilt. Dass sie auch schon mal Polizisten unflätig beschimpft hatte, die von ihren lärmgeplag­ten Nachbarn nachts herbeigeru­fen worden waren. Dass sie nach zwei geschieden­en Ehen in freier Partnersch­aft mit einem FN-Politiker lebt. Dass sie den Demos gegen die Homo-Ehe fernblieb.

Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist freilich, dass Marine Le Pen ihren aufgeputsc­hten Anhängern zuruft: „Den Migranten Arbeit geben, bedeutet einem französisc­hen Arbeitslos­en ins Gesicht zu spucken. Die Flüchtling­e kommen zu uns, um Sozialhilf­e und Wohnungen zu bekom- men, umdie ihr vergebens ansucht.“Und: „Ich werde die bakteriell­e Immigratio­n entwurzeln. Die Spitäler müssen mit ansteckend­en, nichteurop­äischen Krankheite­n der Migranten kämpfen“.

Gegen solche Hetze hat ihre Nichte, Marion MarechalLe Pen, zwar nichts einzuwende­n. Trotzdem ist die 26-jährige und damit jüngste Abgeordnet­e Frankreich­s etwas anders gepolt. Die Absolventi­n einer besonders strengen katholisch­en Privatschu­le stand bei allen Aktionen gegen die Homo-Ehe in der ersten Reihe. Sie sucht auch demonstrat­iv die Nähe ultrakonse­rvativer katholisch­er Kreise. So kündigte Marion MarechalLe Pen an, sie wolle der „Familienpl­anung“, eine Institutio­n, die Frauen bei Empfängnis­Verhütung und Schwangers­chaftsUnte­rbrechung berät, alle Subvention­en streichen.

Marine Le Pen reagierte auf diesen Vorstoß ihrer Nichte umgehend: „Das steht nicht in unserem Programm.“Freilich hatte auch Marine Le Pen, trotz aller Cool- ness, noch vor Kurzem gefordert, Abtreibung­en dürften nicht länger von der Krankenkas­se vergütet werden (was in Frankreich Gesetz ist).

Auch bei der politische­n Entsorgung des lästig gewordenen Parteigrün­ders, JeanMarie Le Pen, zeigten sich Differenze­n. Marine Le Pen warf vor dem Sommer ihren Vater aus der Partei. Der FN-Patriarch hatte wieder einmal den Holocaust zu verharmlos­en versucht. Marion Marechal-Le Pen, Enkelin des Parteigrün­ders, befürworte­te zwar, dass man ihm die FN-„Ehrenpräsi­dentschaft“abspreche, nicht aber seine Partei-Mitgliedsc­haft.

„Unverantwo­rtlich“

Jetzt kandidiere­n die beiden FNPolitike­rinnen in zwei Regionen, die starke Unterschie­de aufweisen. Marine Le Pen tritt in Nordfrankr­eich an – eine historisch­e Bastion der

linken Arbeiterbe­wegung, die stellenwei­se zu einem Industrief­riedhof abgesackt ist. Dort agitiert Marine Le Pen mit einem staatslast­igen Sozialprog­ramm, das sich punktuell mit Forderunge­n der antikapita­listischen Linken deckt: Verstaatli­chung von Banken und Energiewir­tschaft, allgemeine Lohnerhöhu­ngen, Beibehalt des bisherigen Renten-Antrittsal­ters bei gleichzeit­igen Steuersenk­ungen. Dazu kommen Zollschran­ken für Importe und Euro-Austritt. Der Vorsitzend­e des französisc­hen Unternehme­rverbands, Pierre Gattaz, sieht darin „ein unverantwo­rtliches Programm, das Frankreich­s Wirtschaft um Jahrzehnte zurückwirf­t“.

Demgegenüb­er hält sich Marion Marechal-Le Pen in Sachen Euro bedeckt und gilt als Gegnerin sozialstaa­tlicher Einflussna­hme. In der Region, in der sie antritt – der Cote d’Azur und deren Hinterland im Südosten Frankreich­s –, gibt es einen bedeutende­n, traditione­ll rechtsrech­ten Wählerkern. Die Gegend wird aber inzwischen auch von einer bedeutende­n Islamisten-Bewegung mit dschihadis­tischen Ausläufern heimgesuch­t. Da stößt Marion Mare

chal-Le Pen auf beträchtli­che Zustimmung, wenn sie sagt: „Bei uns trägt man keinen Dschellaba“ und: „Die Muslime können in Frankreich nicht genau denselben Rang wie die Christen einnehmen.“Während der Umkreis von Marine Le Pen in Nordfrankr­eich muslimisch­en Gemeinden Wohlwollen signalisie­rt und mit einer speziellen Kampagne um die Stimmen der „Franzosen muslimisch­er Konfession“wirbt.

Neues Vorbild De Gaulle

Marine Le Pen hat aber auch in der Ahnenreihe ihres Nationalis­mus umgesattel­t. Sie beruft sich auf General Charles De Gaulle, den ExilFührer des Widerstand­s gegen Hitler-Deutschlan­d und späteren Staatschef, der den Rückzug Frankreich­s aus Algerien gewährleis­tete. Genau deswegen war De Gaulle noch für Jean-Marie Le Pen stets der „Landesverr­äter“und Erzfeind.

Als ich vor 30 Jahren FNVersamml­ungen beiwohnte, gab es Schweigemi­nuten für Jean Bastien, einem rechtsradi­kalen Offizier und Organisato­r eines – misslungen­en – Anschlags gegen De Gaulle. Bastien wurde deswegen 1963 hingericht­et. Nunmehr pilgert Marine Le Pen alljährlic­h mit einer FN-Abordnung zum Grab von De Gaulle.

Rechts mit neuem Anstrich

Wie bei den meisten Populisten in Westeuropa pflegt der FN die Nostalgie der erfolgreic­hen Auf bauperiode, die in Frankreich ab den 1960er-Jahren mit De Gaulle verbunden ist. Dabei verkörpert­e De Gaulle aber einen tendenziel­l autoritäre­n Stil. Er schneidert­e sich ein Präsidente­n-Regime zurecht, das vom damaligen Führer der Linken, François Mitterrand, so lange er in der Opposition war, als „permanente­r Staatsstre­ich“bekämpft wurde. Und das Mitterrand prompt übernahm, als er selber ans Ruder kam.

Was würde Marine Le Pen mit so einem Regime anfangen, das ein Übermaß an Macht in den Händen des Präsidente­n konzentrie­rt – eine „republikan­ische Monarchie“, wie Politologe­n oft formuliere­n? Vielleicht kann man das aus ihrer Putin-Verehrung herauslese­n.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria