Die Einsamkeit verbindet alle
Burgtheater. Das Joseph-Roth-Projekt des Regisseurs Antú Romero Nunes: Was bleibt von Europa?
Die heutige Situation in Europa erinnert – bei allen Unterschieden – immer wieder frappant an den Untergang der k.u.k. Monarchie und an die Zeit zwischen den Weltkriegen: Wirtschaftskrisen, Flüchtlingsströme, politischer Extremismus, Angst.
Der Chronist dieser Zeit war Joseph Roth. Es war daher nur allzu logisch, dass der Theaterregisseur Antú Romero Nunes bei den Recherchen für sein jüngstes Burgtheater-Projekt rasch auf den großen, altösterreichischen Autor kam.
„Ich habe nach Autoren gesucht, die zu unserer heutigen Situation passen, und bin dabei auf die Autoren der Zwischenkriegszeit gestoßen, auf Kaf ka, auf Joseph Roth“, erzählt Nunes in der Schauspieler-Garderobe des Akademietheaters.
„Ich möchte jetzt ungern die heutige Situation erklären müssen, dafür bin ich ja auch nicht zuständig – sondern fürs Chaos, für die Kunst“, erläutert Nunes seine Arbeitsweise. „Also habe ich mich entschieden, eine historische Parallele zu nehmen.“
Der dabei entstandene Abend trägt den keine Angst vor der Sperrigkeit demonstrierenden Titel „Hotel Europa oder Der Antichrist. Ein Projekt frei nach Joseph Roth“(Premiere: 11. Dezember). Er speist sich aus Roths berühmtem Roman „Hotel Savoy“(als Metapher auf das heutige Europa unübersehbar), aus seinem weniger bekannten Essay „Der Antichrist“und aus Texten, die Nunes auf den Proben mit seinen Schauspielern entwickelt hat.
Als Nunes den „Antichrist“las, war er sofort fasziniert. „Roth beschreibt dar- in, was alles in der Welt schiefläuft, und benennt das mit dem Wort Antichrist. Auch das ist eine Parallele zu heute: Der Fortschritt macht das Leben besser, aber dabei gehen Werte wie Großzügigkeit verloren. Es ist ja ein Phänomen unserer Zeit, dass in der Poli-
Leben tik das Wort, Großzügigkeit‘ nicht vorkommt – obwohl Politik doch eigentlich für die
da sein sollte, für die Menschen.“
Nunes kann Europa gleichzeitig von innen und außen betrachten: Der 1983 geborene Autor wuchs in Deutschland auf, lebte aber auch lange in Chile. Was die „Idee Europa“sein könnte? Nunes ist ratlos. „Menschliches Zusammengehörigkeitsgefühl reicht wohl nicht aus.“
Yoga oder IS?
Der Satz „Keinen Krieg mehr!“sei negativ formuliert und biete daher wenig Anreiz. Nunes: „Ein gewohnter Zustand lässt sich schwer als Utopie formulieren. Aber Utopien braucht jeder irgendwie, da ist, sozusagen, der IS spannender. Will ich jeden Tag meine Yogamatte ausrollen – oder will ich lieber mit den Jungs vom IS im Zelt herumhängen und etwas zu tun haben, weil man mir sagt, was ich zu tun habe? Das übt wohl eine enorme Anziehungskraft aus.“
Nunes ist fasziniert vom Motiv der Vereinsamung. „Joseph Roth beschreibt in einer Szene Tausend Menschen in einem Schützengraben. Alle verbindet eines: Dass sie einsam sterben werden.“Das mache das verbindende Gefühl aus. „Der arme Asylwerber und der reiche Nachbar haben eines gemeinsam: Wir werden alle einmal einsam sein und einsam abgehen.“Nunes lächelt. „Das Problem des Sterbens haben wir noch nicht gelöst – wobei Google ja daran arbeitet, den Tod abzuschaffen.“
Der Abend wird ein Risiko, ist sich Nunes bewusst. „Ich möchte diesmal weniger inszenieren, sondern mich überraschen lassen von mir und meiner Kreativität.“