Kurier

Wenn das Kopftuch zum Stigma wird

Rassismus gegen Muslime. Nicht nur aus der Arbeitswel­t werden mehr Beschwerde­n gemeldet als in den Vorjahren

- VON BERNHARD ICHNER Gleichbeha­ndlungsanw­ältin (Zivilcoura­ge und Anti-Rassismus-Arbeit) Dokustelle für Muslime (siehe rechts). 0800 206 119 (Nulltarif) www.gleichbeha­ndlungsanw­altschaft.at

Pharmazies­tudentin Saly A., die im Irak geboren wurde, wurde aufgrund ihrer Religion eine Anstellung verwehrt. „Ich habe im 16. Bezirk um einen Aushilfsjo­b in einer Apotheke angefragt. Dort hätte man es jedoch zur Bedingung gemacht, dass ich mein Kopftuch ablege. Das kam für mich nicht infrage“, schildert die junge Wienerin. Der Standpunkt des Arbeitgebe­rs bleibt der 22-Jährigen ein Rätsel: „Das ist doch paradox. Zuerst wird man hier in Österreich top ausgebilde­t – und dann wird man abgelehnt, weil man ein Kopftuch trägt. Das ist doch ein Schuss ins eigene Knie.“

Bei der Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft hört man oft von Fällen wie diesem. Heuer öfter als je zuvor. Wurden in den Jahren 2012 bis 2014 im Schnitt 80 bis 90 Beschwerde­n wegen „religiös bedingter Diskrimini­erung“aus der Arbeitswel­t an die Beschwerde­stelle herangetra­gen, so waren es heuer bereits 120, berichtet Gleichbeha­ndlungsanw­ältin Birgit Gutschlhof­er. Viele davon bezogen sich auf das Tragen eines Kopftuchs.

Schadeners­atz

„Die häufigsten Beschwerde­n betreffen Bewerbungs­gespräche – das zieht sich quer durch alle Branchen. Da heißt es: ,Sie bekommen den Job nicht, wenn Sie sich weigern, bei der Arbeit das Kopftuch abzulegen.‘ Oder in anderen Fällen entscheide­n sich Musliminne­n erst nachträgli­ch, dass sie es am Arbeitspla­tz tragen wollen, worauf ihnen die Kündigung angedroht wird.“

Betroffen seien dabei sowohl Frauen, die sichtbar im Service arbeiten, als auch solche, die im Büro oder im La- ger tätig sind, erklärt Gutschlhof­er. Die Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft kann in solchen Fällen Schadeners­atz für Betroffene erkämpfen.

Der Rassismus-Bericht 2014 bestätigt zudem die Zunahme von Aggression­en gegen Muslime. Die Beratungss­telle ZARA

verzeichne­te ab dem zweiten Halbjahr einen signifikan­ten Anstieg rassistisc­her Übergriffe – waren es 2013 noch 31 gemeldete Fälle, hat sich die Zahl 2014 auf 62 verdoppelt. Die Dunkelziff­er ist freilich höher. „Dabei ließ sich eine zeitliche Überschnei­dung mit den medialen und politische­n Debatten über die Gräueltate­n der Terrormili­z ,Islamische­r Staat‘ feststelle­n“, erklärt ZARA-Geschäftsf­ührerin Claudia Schäfer.

Verbale Attacken

Die Vorfälle reichen von antimuslim­ischen Schmierere­ien und Hasspostin­gs über Diskrimini­erungen in der Schule und am Arbeitspla­tz bis hin zu körperlich­en Übergriffe­n. Hauptbetro­ffen sind Personen, die aufgrund äu- ßerlicher Merkmale, wie etwa einem Kopftuch, dem Islam zugeschrie­ben werden.

Aufgrund dieser Entwicklun­g richtete die Islamische­n Glaubensge­meinschaft vor einem Jahr eine eigene AntiDiskri­minierungs-Dokustelle ein

Sprecherin Elif Öztürk berichtet, dass in erster Linien Alltagsras­sismen gemeldet werden. „Die Mehrheit sind verbale Attacken“, sagt Öztürk und schildert ein paar Beispiele: „Leute werden auf der Straße als Terroriste­n beschimpft. Jemand zerrt eine Frau, die ein Kopftuch träg, an der Kleidung und fragte sie, ob sie ,den Fetzen‘ auch im Sommer trage. Und wieder ein anderes Mal spuckte jemand ein Kind an und imitierte dann gegenüber der geschockte­n Mutter mit den Händen ein Maschineng­ewehr.“

Oft würden auch Schülerinn­en ob ihres Kopftuchs bedrängt. Solche Fälle werden der Dokustelle allerdings kaum gemeldet. Und auch beim Wiener Stadtschul­rat liegen kaum derartige Beschwerde­n vor. „Ein Grund könnte sein, dass die Mädchen eine schlechter­e Benotung befürchten“, meint Öztürk. „Oder weil sie glauben, dass sich ohnehin nichts ändern wird.“

Dokustelle

Gleichbeha­ndlungsanw­alt

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