Kurier

Nicht nur ein Nachbeben

Der Terror von Paris nützte den Nationalis­ten. Aber ihr Vormarsch reicht weit zurück und wird anhalten.

- DANNY LEDER danny.leder@kurier.at

Es gibt zwei Lesarten des Sieges des „Front National“bei den französisc­hen Regionalwa­hlen. Die eine besagt, es würde sich primär um eine Art Nachbeben der Anschläge des 13. November handeln, das aber nicht zukunftswe­isend sei.

Schon im Vorfeld der Wahl hatte eine Studie des Pariser Blatts Le Monde ergeben, dass „Wut“und „Hass“die Stimmabgab­e entscheide­nd beeinfluss­en würden. Angetriebe­n durch diese nur allzu verständli­chen Gefühle nach den koordinier­ten Massakern der Dschihadis­ten in Paris, stimmten noch mehr Wähler als sonst für den scheinbar radikalste­n Gegner der Islamisten, also den „Front National“.

Die Nationalis­tenpartei konnte es sich in dieser Wahlkampag­ne sogar leisten, um eine Spur leiser zu treten als üblich, so sehr wirkte die Situation zu ihren Gunsten. Dass die FN-Chefin Marine Le Pen schon vor dem Sommer ihren Vater, den gelegentli­ch antisemiti­sch blinkenden Parteigrün­der Jean-Marie Le Pen, aus dem FN hinausgewo­rfen hatte, verringert­e noch die Hemmschwel­le für ihre neuen Wähler. Diese Stimmabgab­e für den FN unter dem Eindruck der Emotion sei aber eher eine symbolisch­e Handlung als eine anhaltende politische Parteinahm­e gewesen, wollen einige Beobachter hoffen.

Die andere, wohl zutreffend­ere Lesart besagt, dass der FN zwar durch die Anschläge einen schnellere­n Vormarsch registrier­t hat, dass sich aber die Nationalis­tenpartei, wie vormalige Wahlen gezeigt hatten, auch schon zuvor in steilem Aufstieg befunden hatte.

Der Kernantrie­b für den FN kommt aus der nunmehr fast 30-jährigen Erfahrung, dass abwechseln­d bürgerlich­e und linke Regierunge­n in dieser Zeitspanne fast nie die Arbeitslos­enrate unter die Zehn-Prozent-Marke und bei Jugendlich­en unter zwanzig Prozent zu drücken vermochten. Und dass das Industries­terben, in Frankreich noch rasanter als in vergleichb­aren EU-Staaten, in mehreren Regionen kaum bis gar nicht durch neue Wirtschaft­szweige kompensier­t werden konnte.

Diese chronische Misere tangiert auch Teile des breit gestreuten Mittelschi­chtmilieus. Das hat zu Zermürbung geführt, große Teile vor allem junger Menschen haben sich aus dem traditione­llen Politgefüg­e völlig ausgeklink­t. Die sozialisti­sche Staatsführ­ung um Präsident Francois Hollande hat durch einen dilettanti­sch anmutenden Schlingerk­urs in der Steuerpoli­tik die Verunsiche­rung noch auf die Spitze getrieben. Sie verstärkte zwar zuletzt Unternehme­ns-fördernde Maßnahmen, positive Effekte lassen aber auf sich warten, während in der Zwischenze­it linke Stammwähle­r über diese Kurswende ihr politische­s Latein verlieren.

Der FN hat in dieser Situation nur Vorteile: er wurde „bisher noch nie ausprobier­t“, wie seine Wähler sagen, und er bietet gleich drei angeblich Schuldige: „das System“, die EU und die Migranten. Wenn jetzt auch noch die Dschihadis­ten zu weiterem Massenterr­or ausholen, und das ist ihre Absicht, wird es den übrigen Parteien immer schwerer fallen, dem „Front National“standzuhal­ten.

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