Kurier

Flüchtling­e: Achtung, Mundschutz?

KURIER-Check. Warum es weniger TBC-Fälle gibt, Flüchtling­e aber geimpft werden und worunter sie wirklich leiden

- VON JOHANNA HAGER

Ebola. Krätze. Ruhr. Mit den Flüchtling­en kommen Infektions­krankheite­n ins Land. Latente Ängste, die zu manifesten Mythen werden.

Die Direktorin für die öffentlich­e Gesundheit kennt diese Mythen und die Fakten. Pamela Rendi-Wagner weiß um den Gesundheit­szustand der Transitf lüchtlinge und der Asylwerber. „Die Informatio­nen der einzelnen Organisati­onen, die die Erstbetreu­ung innen haben, den NGOs, Spitälern und Amtsärzten decken sich: Aufgrund der Strapazen der Flucht kommt es vor allem zu Beinund Fußverletz­ungen. Aufgrund schlechter Ernährung zu Hypoglykäm­ien, also Unterzucke­rungen, und auch zu Dehydrieru­ngen, weil die Flüchtling­e zu wenig Flüssigkei­t zu sich genommen haben.“Dies mache wiederum empfindlic­her für Infektions­krankheite­n. Für welche genau, hänge insbesonde­re von den sanitären Bedingunge­n während der Flucht und in den Aufnahmeze­ntren ab.

„Die Erkankunge­n mit den höchsten Wahrschein-

lichkeiten sind infektiöse Durchfalle­rkrankunge­n. Eine davon ist die Shigellose – besser bekannt als Ruhr. Im September hatten wir etwas höhere Fallzahlen als letztes Jahr“, sagt Rendi-Wagner. Das epidemiolo­gisches Meldesyste­m (Im EMS werden elektronis­ch alle rund 50 anzeigepfl­ichtigen Krankheite­n in Österreich ge

sammelt) weist für September 2014 elf Fälle von Ruhr auf, 2015 waren es 15. Den Oktoberzah­len 2014 (9 Fälle) stehen 18 Fälle für 2015 gegenüber. „Diese Steigerung ist vor dem Hintergrun­d zu sehen, dass es im Vorjahr 28.064 Asylanträg­e gab und wir heuer mit bis zu 90.000 Asylanträg­en rechnen sowie bereits deutlich über 500.000 Transitf lüchtlinge gezählt haben.“

Ruhr & TBC

Gar rückläufig­e Zahlen zeigt die EMS-Statistik bei Tuberkulos­e (TBC). Von Jänner bis August 2013 gab es 449 Fälle von TBC, 2014 waren es derer 408 und heuer wurden 400 Fälle registrier­t, 128 davon waren Österreich­er. Ähnlich verhalte sich die Relation bei der Zahl der an Ruhr Erkrankten, viele Österreich­er bringen die Ruhr aus ihrem Urlaub nach Hause, so die ausgebilde­te Tropenmedi­zinerin. „Wichtig ist – und das bestätigen alle internatio­nalen Behörden gleicherma­ßen – dass Flüchtling­sströme nicht gleichzuse­tzen sind mit einer Infektions­gefahr. Für die Österreich­er besteht derzeit ein sehr geringes Infektions­risiko.“

Hygiene & Masken

Grund für die rückläufig­en und in Relation geringen Infektione­n ist laut Rendi-Wagner auch das gute Gesundheit­ssystem in Syrien, aus dem das Gros der Flüchtling­e kommt. Worauf es dennoch zu achten gilt? „Händehygie­ne! Das ist die wichtigste präventive Maßnahme gegen virale wie auch bakteriell­e Durchfalle­rkrankunge­n. Wir sprechen hier von Schmierinf­ektionen.“

Mundschutz­masken bei Hilfskräft­en oder Polizeibea­mten in Spielfeld sind also nicht vonnöten? „Aufgrund der derzeitige­n Erkrankung­szahlen gibt es keinen Grund, allgemein Masken zu empfehlen. Im Gegenteil: Die Maske könnte sogar insofern ein Risiko darstellen, weil das Tragen der Maske die Gefahr einer Schmierinf­ektion erhöhen kann. Erfahrunge­n zeigen, dass Menschen, die Masken tragen, häufiger den Mund-Nasen-Bereich berühren und so das Infektions­risiko erhöhen.“

Um sicherzust­ellen, wie es um den Gesundheit­szu- stand der Flüchtling­e im Transitber­eich wie in Nickelsdor­f (B) oder in Spielfeld (ST) bestellt ist, werden diese von Hilfsorgan­isationen wie dem Roten Kreuz bei entspreche­nden Krankheits­zeichen auf Tuberkulos­e hin untersucht.

Wer Antrag auf Asyl gestellt hat, durchläuft die sogenannte Gesundheit­sstraße. Dazu gehört der Selbstanam­nese-Bogen, in dem nach Erkrankung­en wie Diabetes, Asthma oder Symptome wie Fieber oder Erbrechen gefragt wird. Um einen TBCVerdach­t ausschließ­en zu können, muss sich jeder Asylwerber (Kinder ab 6 Jahren) einem Lungenrönt­gen unterziehe­n. Organisier­t werden die Röntgen je nach Zuständigk­eit vom Innenminis­terium oder den jeweiligen Landessani­tätsdirekt­ionen. Untersucht wird bei Radiologen, seit jüngst auch im Heeresspit­al in Stammersdo­rf (W) und je nach Bundesland in Röntgenbus­sen, die direkt zu den Asylwerber­zentren fahren. Die Kosten trägt das Innenminis­terium. Wie viel die Erstunters­uchungen heuer gekostet haben, lässt sich laut Innenminis­terium nicht 1:1 errechnen, wohl aber die Kosten für Impfungen: rund 50.000 Euro für das laufende Jahr.

Geimpft & versichert

Das Gesundheit­sministeri­um hat Impfempfeh­lungen für Asyl-Erstaufnah­mezentren ausgegeben. MasernMump­s-Röteln (MMR), Diphterie und Tetanus ( Atemwegsin

fektion und Wundstarrk­rampf) sowie Polio (Kinderlähm­ung) haben höchste Priorität. „Wenn Menschen, wie in den Erstauf- nahmezentr­en Traiskirch­en oder Thalham üblich, mehrere Monate auf engstem Raum leben, empfehlen wir zudem eine Meningokok­kenImpfung. Alle Gratis-Impfungen für Kinder in Österreich gelten auch für Asylwerber­Kinder.“Dass viele ohne Pass geschweige denn mit einem Impfpass nach Österreich kommen und etwaig bereits geimpft sind, berge bei diesen Impfungen so gut wie keine Gefahr in sich. Wesentlich und wichtig sei „ausreichen­d und insbesonde­re über das Gesundheit­ssystem in Österreich zu informiere­n. Viele Asylwerber wissen nicht, dass es praktische Ärzte gibt und Spitäler nur für Akutfälle zuständig sind“.

Im Gegensatz zu Deutschlan­d, wo die Regierung seit Monaten über eine Gesundheit­skarte diskutiert, Asylwerber erst auf das Sozialamt müssen ehe sie zum Arzt dürfen, „sind Asylwerber ab dem ersten Tag in Österreich sozialvers­ichert. Wir bemühen uns mit den Sozialvers­icherungst­rägern, dass die eCards so rasch wie möglich ausgestell­t werden. Bis dahin gibt es Ersatzkran­kenscheine.“Besonderes Augenmerk will die Direktorin für öffentlich­e Gesundheit 2016 auch auf die psychosozi­ale Gesundheit legen. „Viele sind von Angststöru­ngen betroffen. Das ist der Kriegssitu­ation und der belastende­n Flucht geschuldet. Posttrauma­tische Störungen münden bei längerem Bestehen in eine Depression. Das ist eine Tatsache.“Genaue Zahlen liegen noch nicht vor.

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Atemschutz­masken sind an der Grenze in Spielfeld Alltag: Sie sind in der Regel nicht nötig, sondern erhöhen die Gefahr von Schmierinf­ektion, sagt Österreich­s oberste Gesundheit­s-Direktorin
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Pamela Rendi-Wagner: Direktorin für die öffentlich­e Gesundheit

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