„Ich möchte raus“
„Ein Gregor Schlierenzauer kann nicht immer wie eine Maschine funktionieren“ Weshalb hätte es ihm anders ergehen sollen als all seinen Kollegen? Wieso hätte es ausgerechnet in seinem Leben immer nur bergauf gehen sollen? Warum auch hätte Gregor Schlierenzauer immer nur die Sonnenseiten eines Sportlerlebens genießen sollen? Wo er vor einiger Zeit doch sogar selbst einmal gesagt hat: „Ich kenne keinen Top-Athleten, der zehn Jahre lang ununterbrochen die Nummer eins war. Das wäre ja auch kitschig.“
Als Schlierenzauer das erste Mal bewusst über Krisen und Abstürze sinnierte, stand er noch ganz oben und hatte noch leicht reden. Jetzt, wo nun also auch er mit einer sportlichen Flaute und öffentlichem Gegenwind konfrontiert ist und er völlig im Eck steht, scheint der ehemals beste Skispringer der Welt angesichts der ungewohnten Situation vor allem eines zu sein: überfordert.
Keine Leidenschaft
Die Ratlosigkeit über das hartnäckige Formtief und die Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen haben Schlierenzauer dazu veranlasst, jetzt endgültig die Reißleine zu ziehen. „So macht das keinen Sinn“, verkündete der Tiroler an seinem 26. Geburtstag und kehrte den Schanzen den Rücken. Zumindest in diesem Winter wird Schlierenzauer nicht mehr im Weltcup zu sehen sein. „Die Enttäuschung hat bei mir jegliche Leidenschaft gekillt.“
Vor zwei Jahren stand Gregor Schlierenzauer schon einmal kurz vor dem Absprung. Er hatte damals sehr viel Zeit und Energie in seinen Traum vom Olympiasieg investiert, konnte seine großen Erwartungen aber nicht erfüllen. Damals merkte er das erste Mal, dass ihm nicht mehr alles so leicht von der Hand geht wie in seinen Anfangsjahren. Zu dem Gefühl der Leere gesellte sich eine Müdigkeit, die öffentliche Erwartungshaltung machte ihm zusehends zu schaffen.
Keine Kraft
Er habe immer nur funktionieren müssen und sich schon als 16-Jähriger wie ein Erwachsener benehmen sol- len, beklagte sich Schlierenzauer einmal im KURIER-Interview. „Das kostet so viel Energie und mentale Kraft. Ich bin doch keine Maschine.“
Langjährige Wegbegleiter wundern sich, dass der Tiroler überhaupt so lange durchgehalten hat. Denn früher oder später ist noch jeder Höhenflieger auf dem Boden der Realität gelandet. Simon Ammann (SUI) erlebte einen Totalabsturz, nachdem er 2002 aus heiterem Himmel Doppel-Olympiasieger ge- worden war. Sven Hannawald (GER), der erste Springer, der alle vier Tourneebewerbe gewinnen konnte, kämpfte mit einem Burn-out und gegen die Magersucht. Der Finne Matti Nykänen, der erst von Schlierenzauer als erfolgreichster Springer der Weltcup-Historie abgelöst wurde, ertränkte seine Probleme im Alkohol. „Skispringer sind extrem sensibel, man muss sich ja nur einmal ihren Körperbau anschauen“, weiß Anton Innauer.
Keine Ahnung
Dass rund um die Tournee nun auch die Trennung von seiner Langzeitfreundin öffentlich wurde, hat Schlierenzauer „sehr enttäuscht“und ihn nur noch mehr darin bestärkt, eine Auszeit zu nehmen. „Ich möchte raus aus dem Rampenlicht, weg von den Medien.“
Gregor Schlierenzauer will jetzt Abstand gewinnen. Abstand vom Skispringen, Abstand auch von Österreich, wo es ihm nur schwer gelingt, auf andere Gedanken zu kommen. Und dafür wird er sich Zeit nehmen, so lange es eben braucht. „Das Wort Rücktritt nehme ich bewusst nicht in den Mund. Ich weiß ganz einfach nicht, was die Zukunft bringt.“