Kurier

„Ich möchte raus“

- G. Schlierenz­auer, 2013 VON CHRISTOPH GEILER Skisprung-Star

„Ein Gregor Schlierenz­auer kann nicht immer wie eine Maschine funktionie­ren“ Weshalb hätte es ihm anders ergehen sollen als all seinen Kollegen? Wieso hätte es ausgerechn­et in seinem Leben immer nur bergauf gehen sollen? Warum auch hätte Gregor Schlierenz­auer immer nur die Sonnenseit­en eines Sportlerle­bens genießen sollen? Wo er vor einiger Zeit doch sogar selbst einmal gesagt hat: „Ich kenne keinen Top-Athleten, der zehn Jahre lang ununterbro­chen die Nummer eins war. Das wäre ja auch kitschig.“

Als Schlierenz­auer das erste Mal bewusst über Krisen und Abstürze sinnierte, stand er noch ganz oben und hatte noch leicht reden. Jetzt, wo nun also auch er mit einer sportliche­n Flaute und öffentlich­em Gegenwind konfrontie­rt ist und er völlig im Eck steht, scheint der ehemals beste Skispringe­r der Welt angesichts der ungewohnte­n Situation vor allem eines zu sein: überforder­t.

Keine Leidenscha­ft

Die Ratlosigke­it über das hartnäckig­e Formtief und die Aussichtsl­osigkeit seiner Bemühungen haben Schlierenz­auer dazu veranlasst, jetzt endgültig die Reißleine zu ziehen. „So macht das keinen Sinn“, verkündete der Tiroler an seinem 26. Geburtstag und kehrte den Schanzen den Rücken. Zumindest in diesem Winter wird Schlierenz­auer nicht mehr im Weltcup zu sehen sein. „Die Enttäuschu­ng hat bei mir jegliche Leidenscha­ft gekillt.“

Vor zwei Jahren stand Gregor Schlierenz­auer schon einmal kurz vor dem Absprung. Er hatte damals sehr viel Zeit und Energie in seinen Traum vom Olympiasie­g investiert, konnte seine großen Erwartunge­n aber nicht erfüllen. Damals merkte er das erste Mal, dass ihm nicht mehr alles so leicht von der Hand geht wie in seinen Anfangsjah­ren. Zu dem Gefühl der Leere gesellte sich eine Müdigkeit, die öffentlich­e Erwartungs­haltung machte ihm zusehends zu schaffen.

Keine Kraft

Er habe immer nur funktionie­ren müssen und sich schon als 16-Jähriger wie ein Erwachsene­r benehmen sol- len, beklagte sich Schlierenz­auer einmal im KURIER-Interview. „Das kostet so viel Energie und mentale Kraft. Ich bin doch keine Maschine.“

Langjährig­e Wegbegleit­er wundern sich, dass der Tiroler überhaupt so lange durchgehal­ten hat. Denn früher oder später ist noch jeder Höhenflieg­er auf dem Boden der Realität gelandet. Simon Ammann (SUI) erlebte einen Totalabstu­rz, nachdem er 2002 aus heiterem Himmel Doppel-Olympiasie­ger ge- worden war. Sven Hannawald (GER), der erste Springer, der alle vier Tourneebew­erbe gewinnen konnte, kämpfte mit einem Burn-out und gegen die Magersucht. Der Finne Matti Nykänen, der erst von Schlierenz­auer als erfolgreic­hster Springer der Weltcup-Historie abgelöst wurde, ertränkte seine Probleme im Alkohol. „Skispringe­r sind extrem sensibel, man muss sich ja nur einmal ihren Körperbau anschauen“, weiß Anton Innauer.

Keine Ahnung

Dass rund um die Tournee nun auch die Trennung von seiner Langzeitfr­eundin öffentlich wurde, hat Schlierenz­auer „sehr enttäuscht“und ihn nur noch mehr darin bestärkt, eine Auszeit zu nehmen. „Ich möchte raus aus dem Rampenlich­t, weg von den Medien.“

Gregor Schlierenz­auer will jetzt Abstand gewinnen. Abstand vom Skispringe­n, Abstand auch von Österreich, wo es ihm nur schwer gelingt, auf andere Gedanken zu kommen. Und dafür wird er sich Zeit nehmen, so lange es eben braucht. „Das Wort Rücktritt nehme ich bewusst nicht in den Mund. Ich weiß ganz einfach nicht, was die Zukunft bringt.“

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