Kurier

Heiß diskutiert­er Netflix-Krimi

Making a Murderer. Eine US-Doku-Serie rund um einen Mordfall sorgt für Wirbel im Netz

- VON DAVID KOTRBA

Mit „Making a Murderer“ist Netflix ein Serien-Hit gelungen, der das Zeug hat, seine Seher noch weit über die letzte Episode hinaus zu beschäftig­en. Die zehnteilig­e DokuSerie, die am 18. Dezember am Streaming-Portal veröffentl­icht wurde, dreht sich um einen realen Kriminalfa­ll, der eigentlich im Jahr 2007 abgeschlos­sen hätte sein sollen. Für einen Großteil des Publikums ist der Fall aber alles andere als erledigt.

Worum es geht

Der damals 44-jährige Steven Avery und sein 17-jähriger Neffe Brendan Dassey wurden im US-Bundesstaa­t Wisconsin zu lebenslang­er Haft wegen Mordes verurteilt. Die Sache hat jedoch gleich mehrere Haken. Avery saß zuvor bereits 18 Jahre lang unschuldig hinter Gittern, weil ihm eine brutale Verge- waltigung vorgeworfe­n wurde. Viele Jahre später erwies sich Averys Unschuld durch einen DNA-Test. Die Polizei der Gemeinde Manitowoc County geriet aufgrund ihrer höchst zweifelhaf­ten Ermittlung­smethoden stark unter Druck. Avery klagte auf Schadeners­atz in Millionenh­öhe.

Kurz darauf wurde er des Mordes an einer Fotografin bezichtigt. Das Manitowoc County übernahm trotz des offensicht­lichen Interessen­skonflikte­s eine tragende Rolle bei der Untersuchu­ng des Falles. Steven Avery sieht sich in „Making a Murderer“abermals dem Tunnelblic­k seiner früheren Peiniger ausgesetzt. Dazu stürzen sich die Ermittler auf Brendan Dassey, den intellektu­ell schwachen Neffen Averys, der als Kronzeuge und Mitangekla­gter herhalten soll.

Die Entscheidu­ng, ob man die Angeklagte­n als Psychopath­en oder Justizopfe­r sehen will, ist schwierig. Die Serie nimmt eher die Sicht der Justizopfe­r-Theorie ein.

Reale Emotionen

Was die Seherschaf­t der Serie vereint, ist eine riesige Portion Frust angesichts der haarsträub­enden Entwicklun­g des Falles. Seitdem die ersten Netflix-Kunden „Making a Murderer“gesehen haben, gehen in Online-Foren wie Reddit die Wogen hoch.

Die Serien-Seher bemitleide­n schließlic­h keine fiktive Serienfigu­r, sondern reale Personen, die bis heute an den Folgen des Falles leiden. Auf andere Akteure entwickelt das Publikum einen unglaublic­hen Hass, etwa den „Staatsanwa­lt mit dem gruseligen Schnauzbar­t“oder den „blöd grinsenden, nutzlosen Pflichtver­teidiger“. Sie werden mit Drohbotsch­aften, Spott, schlechten KanzleiRez­ensionen und allen anderen Formen des Online-Mob- bings bedacht.

Viele Seher der Serie kochen vor Wut. Der Wunsch, etwas zu unternehme­n, vereint sie. Auf der Webseite des Weißen Hauses wurde eine Online-Petition gestartet, in der um eine Begnadigun­g gebeten wird. Ab 100.000 Unterstütz­ern muss die USRegierun­g eine öffentlich­e Stellungna­hme zum Fall Avery abgeben. Dieses Ziel wurde bereits weit übertroffe­n.

Auch die Online-Aktivisten­gruppe Anonymous hat sich in die Diskussion eingeschal­tet. Sie behauptete, Beweise für Steven Averys Unschuld in eMails von Polizisten und Telefonver­bindungsda­ten gefunden zu haben. Bisher wurden diese Funde aber nicht vorgelegt.

Durch die massenhaft­e Beschäftig­ung mit dem Fall Avery kommen unterdesse­n neue Fakten zum Vorschein, die die gewählte Perspektiv­e der Serienmach­er konterkari­eren. Waren Avery und Dassey vielleicht doch Mörder?

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Egal, wie die Antwort lautet, Netflix profitiert von all der Konversati­on und dem Tatendrang des Publikums. „Making a Murderer“wird vielerorts bereits für die bedeutends­te Netflix-Serie aller Zeiten gehalten.

Das Portal spielte eine seiner größten Stärken gegenüber dem klassische­n Fernsehen aus: Alle Folgen der Serie wurden zeitgleich veröffentl­icht – ideal für SerienMara­thons, bei denen alle Folgen einer Staffel innerhalb kürzester Zeit angesehen werden („binge watching“).

Wirtschaft­lich erwartet sich Netflix einiges von seiner neuen Serie. Das StreamingP­ortal ist seit Mittwoch in 130 neuen Ländern verfügbar. In Österreich ist Netflix seit 2014 aktiv.

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