„Trainieren, damit was weitergeht“
Querschnittlähmung. Wie Kira Grünberg lernen auch andere Patienten in Bad Häring, mit Behinderung zu leben
Reinhard Karner hängt kurz in den Seilen. Aber nur, bis Therapeut Richard Altenberger seine Arme im Trainingsgerät fixiert hat. Dann zieht der 45-Jährige voll durch. Zieht die Gewichte auf und nieder. Daneben wird auf einer Therapieliege die Nacken- und Schultermuskulatur trainiert. Im Hintergrund setzt ein weißhaariger Mann gezielt Schritt für Schritt, während er sich mit den Händen am Barren festhält.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, in einem Fitnesscenter gelandet zu sein. „In der Rehabilitation steht aktives Training im Vordergrund“, sagt Altenberger. „Das heißt nicht, sich hinlegen – sondern aktiv etwas tun.“Seit 36 Jahren arbeitet der heutige Chef-Physiotherapeut im AUVA-Rehabilitationszentrum in Bad Häring (Tirol) mit Querschnittsgelähmten. „Unser Schwerpunkt ist die Unfallrehabilitation“, sagt der ärztliche Leiter Prim. Burkhart Huber. „Für Querschnittlähmung und Polytrauma gibt es nicht viele Einrichtungen.“Auch Stabhochspringerin Kira Grünberg und die Synchronschwimmerin Vanessa Sahinovic werden hier betreut.
Die wenigsten Patienten hier sind Profi-Sportler, Ziel haben aber alle das gleiche: Sie lernen über Monate, sich mit Rollstuhl und anderen Hilfsmitteln wieder im Alltag zurechtzufinden. Huber: „Es geht darum, die Chancen der noch vorhandenen Fähigkeiten aufzuzeigen und diese zu trainieren und damit Sicherheit für die Alltagsbewältigung zu gewinnen.“Zeit ist dabei keine Kategorie: „Wir setzen gemeinsam mit den Patienten Ziele. Sie bleiben so lange bei uns, bis sie zu Hause selbstständig leben können.“
Reinhard Karner hat das geschafft. 1988 stürzte er mit 17 Jahren beim Skifah- ren. Diagnose: Querschnittslähmung ab dem 5. und 6. Halswirbel. Das heißt, er ist seither ein Tetraplebiker. Das ist die Fachbezeichnung, wenn alle vier Extremitäten gelähmt sind. „Anfangs konnte ich nur die Augen bewegen“, erinnert er sich.
Hobby: Rallyefahrer
Heute lebt er weitgehend selbstständig in seiner eigenen Wohnung, arbeitet in einer Werbeagentur und fährt begeistert Auto. Sein größtes Hobby: Rallye-Fahren. Dafür wurde das Auto so adaptiert, dass er es mit Drehbewegungen des Lenkrads bedienen kann. Dabei sind auch Reinhards Finger gelähmt. Er hat aber gelernt, seine Hand schaufelähnlich als sogenannte „Funktionshand“zu nutzen, damit kann er greifen. Mit speziell adaptiertem Besteck, das er über die Hän- de schiebt, zerschneidet er auch jedes Schnitzel. Und sein iPad bedient Reinhard ebenso mit der Funktionshand. Stolz zeigt er Videos seiner Rallye-Touren in Griechenland. Er wischt routiniert mit dem Handballen über das Display oder regelt mit den Knöcheln Lautstärke und Wiederholungen. Nachdem er im August in seinem Rollstuhl auf dem Zebrastreifen angefahren wurde, verbrachte er wieder einige Reha-Monate in Bad Häring.
Als Teenager war Reinhard Hochleistungssportler. „Das hat mir nach dem Unfall geholfen, weil ich wusste: Ich muss trainieren, da- mit was weitergeht.“Resignieren sei nie ein Thema für ihn gewesen. „Irgendwann hab ich mir gesagt: Das zieh ich jetzt durch.“
Auch wenn man sich vieles gar nicht vorstellen könne, erinnert er sich. „Bei Querschnittlähmung denkt man nicht daran, dass auch Herz, Blase und Darm betroffen sind, damit musst man erst umgehen lernen.“Vieles, über das man sonst gar nicht nachdenkt, wird zur Herausforderung. Etwa, sich selbst anzuziehen. „In der Reha hab’ ich anfangs eine dreiviertel Stunde geübt, bis ich einen Socken angezogen hatte. Erst mit der Zeit geht’s schneller.“