Draghi lobt „zivilisierte“Zinssitzung in Wien – EZB kauft jetzt auch Firmenschulden
Euro-Zinsen. Geldpolitik-Zeugnis für EZB-Chef Mario Draghi: Was bisher funktioniert hat – und was nicht.
Hunderte Journalisten und Kameramänner in der Wiener Hof burg und alle wollten zum Präsidenten. Nicht etwa zum künftigen Hausherrn Van der Bellen, sondern zu Mario Draghi. Der Ansturm der Fotografen fiel aber verhaltener aus, als in Frankfurt üblich. „Hier läuft das zivilisierter ab“, scherzte der EZB-Präsident. Die Zinssitzung war in Wien, weil die Oesterreichische Nationalbank ihr 200-Jahre-Jubiläum feiert.
Braucht es denn nationale Notenbanken wie die OeNB heute überhaupt noch, wollte der KURIER wissen. „Die Entscheidungen trifft nicht ein einsames Hirn in Frankfurt, das beruht auf der gemeinsamen Expertise aller Notenbanken des Eurosystems“, sagte Draghi. OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny sieht genügend Aufgaben auch noch für die nächsten 100 Jahre.
(Finanz-)Weltbewegende Beschlüsse in Wien wären eine Sensation gewesen: Ihr großes Feuerwerk hat die EZB schon im März gezündet. Damals wurde der Leitzins von 0,05 auf 0,0 Prozent gesenkt und das Ankaufprogramm ausgeweitet. Seither erwirbt die EZB Wertpapiere um bis zu 80 Milliarden Euro pro Monat – und das bis mindestens März 2017.
Jetzt will sie abwarten. Aber worauf wirkt sich die Geldflut aus? Ist die EZB erfolgreich? Eine KURIER-Bewertung nach Schulnoten. – Preise: Genügend
Was wäre wenn ... die EZB gar nichts getan hätte? Vermutlich wäre die Eurozone in eine Abwärtsspirale mit fallenden Preisen und schrumpfender Wirtschaft gefallen. Dieses Bedrohungs- szenario hat die EZB erfolgreich verhindert. Ihr Auftrag sind aber stabile Preise, definiert als Inf lationsrate nahe bei zwei Prozent. Dieses Ziel wird sie laut aktueller Prognose bis 2018 nicht erreichen. – Staatsfinanzen: Gut
Nicht missverstehen: Die Lage der öffentlichen Finanzen ist in den meisten Ländern miserabel. Warum die gute Note? Weil die lockere EZB-Politik den Staaten aus der Patsche hilft, indem ihre Budgets entlastet werden. Ein netter Nebeneffekt der Nullzinspolitik – auch Österreich erspart sich jährlich Zinskosten in Milliardenhöhe. Die Kehrseite: Das verringert den Reformdruck. – Euro-Wechselkurs: Gut
Die lockere Geldpolitik hat den Euro ab 2008 auf Talfahrt zum Dollar geschickt. Das ist schlecht für Europäer, die in die USA reisen oder dort einkaufen. Für die Export-Wirtschaft ist es gut: Euro-Produkte sind so günstiger und stärker gefragt, wenn sie in Dollar abgerechnet werden. Seit gut einem Jahr bewegt sich der Wechselkurs aber kaum. Große Impulse sind da nicht mehr zu erwarten. – Kredite: Befriedigend
Die Geldflut hat seit 2014 Kredite für Firmen und Haushalte billiger gemacht. Das hilft vor allem Krisenländern, die unter einer Kreditklemme ächzen. Allerdings bleibt die Kreditnachfrage schwach. Jetzt greift die EZB sogar direkt in die Firmen-Finanzierung ein: Ab 8. Juni wird sie Unternehmensanleihen mit guter Bonität kaufen, kündigte Draghi in Wien an. Ausgenommen sind nur Papiere von Banken und Firmen in Staatsbesitz. – Banken: Befriedigend
EZB-Chef Draghi hat die Eurokrise fast im Alleingang abgedreht. Ein Zerbrechen der Währungsunion ist aktuell kein Thema mehr. Dennoch monieren Kritiker, die EZB halte „Zombiebanken“am Leben, indem sie diese mit Finanzmitteln zum Nulltarif versorgt. Der Gesundung des Sektors hilft das auf Dau- er nur bedingt. Im Gegenteil: Die Nullzinsen machen gesunden Banken zu schaffen. – Wachstum: Genügend
Einen soliden Konjunkturaufschwung hat die EZB nicht zustande gebracht. Das ist aber – fairerweise – auch nicht ihr Job. Sie kann nur günstige Voraussetzungen schaffen. Schon längst wären die Regierungen am Zug: EZB-Chef Mario Draghi wird nicht müde, Strukturreformen einzufordern.
Und wann dürfen die Sparer mit höheren Zinsen rechnen? Noch lange nicht. Das liegt aber nicht an der EZB allein. „Die tiefen Zinsen sind ein Symptom der schwachen Wirtschaft“, sagte Draghi.