Kurier

„Erdoğan geht es nur um Machterhal­t“

Was die Inhaftieru­ng der Journalist­en eigentlich bedeutet, erklärt Türkei-Experte Cengiz Günay

- VON BERNHARD GAUL

KURIER: Die türkische Polizei hat den Chefredakt­eur der Zeitung Cumhuriyet („Republik“), und 12 seiner Journalist­en inhaftiert, angeblich wegen Gülen-Verbindung­en. Was steckt dahinter? Cengiz Günay: Die Anschuldig­ungen nehmen ein Ausmaß an, die für mich nur mehr absurd sind. Die betroffene Zeitung war bisher meist ausgenomme­n von den Verhaftung­swellen, auch weil die Regierung einen kleinen Raum für opposition­elle Me- dien toleriert hat, als Ventil für den säkularen Sektor. Nun weiß niemand mehr, was die Kriterien sind, um verhaftet werden zu können. Derzeit scheinen alle, die opposition­ell und damit gefährlich sein könnten, aus dem Weg geräumt zu werden. Dürfen die Menschen auf rechtsstaa­tliche Verfahren hoffen?

Der Ausnahmezu­stand ermöglicht, dass man rechtsstaa­tliche Prinzipien leichter umgehen kann. Es werden derzeit sogar Gespräche zwischen dem Anwalt und dem Angeklagte­n abgehört. Durch den Anti-Putsch- und Anti-Terror-Vorwand ist der Rechtsstaa­t bereits jetzt massiv ausgehöhlt.

Also ist bereits Staatsfein­d, wer nicht auf Seite des Präsidente­n Erdoğan ist?

So schaut es im Moment aus. Es reicht schon, dass man ihm nur gefährlich werden könnte.

Warum macht Erdoğan das?

In der Türkei zieht sich die Schlinge immer mehr zu – auch für die Regierung. Die wirtschaft­liche Lage verschlech­tert sich massiv, Erdoğans Partei AKP ist eine Mehrheit nicht sicher. Eine Folge des Putsches ist, dass ein unsägliche­s Bündnis von AKP und den Nationalis­ten entstanden ist. Von den Nationalis­ten kommen Forderunge­n wie die Todesstraf­e, und die AKP geht auf immer mehr ein.

Also entwickelt sich die Türkei in ein voll-autoritäre­s System?

Das hat damit zu tun, dass der geltende Ausnahmezu­stand diese Rechte und Möglichkei­ten bietet und diese Notverordn­ungen alsbald zu Gesetzen werden. Für Erdoğan, der die Türkei ja in eine Wirtschaft­skrise manövriert, ist es wichtig, die Reform in Richtung einer Präsidialr­epublik rasch umzusetzen, weil ein Verfassung­sreferendu­m unter den Bedingunge­n einer Wirtschaft­skrise schwierige­r zu gewinnen ist.

Wofür steht Erdoğan heute?

Er ist Opportunis­t und Populist mit autoritäre­n Zügen, ein Pragmatike­r, der flexibel genug ist, um sich an der Macht zu halten. Er hat schon Ideen, wie seine Türkei aussehen soll, aber das grundlegen­de Motiv seiner Politik ist der Machterhal­t. Daher sind auch seine Koalitions­partner austauschb­ar, derzeit sind es Nationalis­ten.

Dazu kommt immer wieder ein Sehnen nach einem groß-osma- nischen Reich. Wie ernst muss man diese Fantasien nehmen?

Das ist also vor allem Rhetorik, diese Idee ist ja offensicht­lich gescheiter­t. Die Türkei steht in der Region isoliert da wie nie. Sie spielt im Nahen Osten nicht die Rolle, die sie gerne hätte. Auch, weil sie auf die falschen Akteure gesetzt hat, in Syrien oder auf die Muslimbrüd­er in Ägypten.

War die Türkei vor einigen Jahren nicht besser entwickelt?

Das liberaldem­okratische Modell der Türkei, in der Islam und Marktwirts­chaft durchaus kompatibel waren, das gibt es nicht mehr. Jetzt unterschei­det sich die Türkei immer weniger von Systemen wie von Präsident as-Sisi in Ägypten. Das Scheitern des liberal-islamische­n Modells und des demokratis­chen Ideals liegt aber im globalen Trend neoautorit­ärer Tendenzen.

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Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdoğan (62) baut die Türkei in einen autoritäre­n Staat um
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Günay arbeitet am Österr. Institut für Int. Politik (OIIP)

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