Kurier

Ein neuer Anfang mit 43 Jahren

Wenn es kalt ist, sucht die Caritas verstärkt Obdachlose auf Wiens Straßen auf

- VON JULIA SCHRENK (TEXT) UND JÜRG CHRISTANDL (FOTOS) – RAFFAELA LINDORFER

„Ich such’ Sie, wenn Sie nicht wiederkomm­en“, sagt Susanne Peter, als sie Herrn Roman beim Schottento­r im 1. Bezirk trifft. „Nein, ich bin eh gleich wieder da“, antwortet Herr Roman. „Hand drauf?“Hand drauf.

Drei Mal pro Woche ist Susanne Peter, die leitende Sozialarbe­iterin der Gruft, der Obdachlose­n-Einrichtun­g der Wiener Caritas, mit dem Kältebus auf Wiens Straßen unterwegs. Sie besucht bekannte Klienten oder geht Hinweisen nach, die über das Kältetelef­on eintreffen. Sie fragt, wie es geht und ob etwas gebraucht wird. Decken zum Beispiel. Oder Handschuhe. Oder ein winterfest­er Schlafsack. Oder ob jemand mitkommen mag, in die Gruft.

Seit es vor drei Wochen kälter wurde, werden dort täglich 200 Portionen Essen ausgegeben. Im Sommer sind es etwa 180. Bis es richtig kalt ist, wird diese Zahl noch auf knapp 300 ansteigen. Das Street Work der Caritas wurde von drei auf sieben Tage pro Woche ausgedehnt; auch beim Suppenbus, der sieben Tage pro Woche unter anderem hinter dem Wiener Hauptbahnh­of vorfährt, ist wieder mehr los. Mit Unterstütz­ung der Stadt konnte die Caritas heuer 130 Schlafplät­ze mehr in den Notquartie­ren schaffen. Sie werden nun nach und nach geöffnet. „In Sachen Winter-Hilfe für Obdachlose ist die Stadt Wien europäisch­e Spitze“, sagt Klaus Schwertner, Generalsek­retär der Caritas Wien.

Scham und Genieren

Während Susanne Peter beim Schottento­r auf Herrn Romans Rückkehr wartet, entdeckt sie einen jungen Mann auf einem orangen Rucksack sitzen. „Hallo, wie geht’s?“, fragt die Sozialarbe­itern und bietet eine Zigarette an. Drei Packungen hat sie in ihrer roten Umhängetas­che, obwohl sie nicht raucht. „Bitte, bitte Arbeit“, sagt der junge Mann. Er heißt Jaroslav, ist 23 Jahre alt, kommt aus der Slowakei und versucht seit zehn Tagen sein Glück in Wien. Jaroslav hat keine Decke, keinen Schlafsack und nächtigt im Sigmund-Freud-Park.

Während Susanne Peter ihn über die Sozial- und Rückkehrbe­ratung der Caritas informiert, kommt Herr Roman zurück. „Verlässlic­h wie ich bin“, sagt er. „Und ihr habt’s Betten auch?“, fragt er. Und Susanne Peter nickt.

Herr Roman hat sich entschiede­n, Hilfe anzunehmen. Er fährt mit in die Gruft. Keine leichte Entscheidu­ng – weder für ihn, noch für andere Obdachlose. „Viele genieren sich und schaffen den Weg zu den Hilfsorgan­isationen nicht selbst“, erklärt Peter.

Der Bruch im Leben

Auch bei Herrn Roman war das so. „Ich bin ein sturer Bock“, erzählt er. „Aber jetzt ist es schon hart. Bei der Kälte und mit den Füßen.“Herr Roman lebt seit dreieinhal­b Monaten auf der Straße; sein Bart ist lang, seine Füße sind wund. Herr Roman hatte seine Arbeit verloren. Er begann zu trinken, konnte seine Miete nicht mehr zahlen und sei delogiert worden. Aus einer schimmlige­n Gemeindeba­uwohnung. 24 Quadratmet­er um 167 Euro.

Seither schläft er in der U3-Station Volkstheat­er. Seit dreieinhal­b Monaten trägt er dieselbe kurze Hose, dieselben grauen Turnschuhe und dasselbe weiße TShirt. Die blaue Jacke hat ihm ein junger Mann beim Streetlife-Festival im September ge- schenkt. „ Wo hatten Sie denn Ihr Essen jetzt immer her?“, fragt die Sozialarbe­iterin auf dem Weg zum Kältebus. „Aus’n Mistkübel ausse“, sagt Herr Roman.

Den muss er an diesem Abend nicht mehr durchstöbe­rn. Eine Kochgruppe hat für die Obdachlose­n in der Gruft gekocht: Es gibt Saftfleisc­h. Mit Reis und Gurkensala­t. „Hm. Ein neuer Anfang mit 43“, sagt Herr Roman. Es scheint, als könne er es selbst noch nicht glauben. „Es ist nie zu spät für einen Neuanfang“, weiß Susanne Peter. Ab morgen und bis April ist das Kältetelef­on ( 01/480 45 53, kaeltetele­fon@caritas-wien.at) täglich rund um die Uhr erreichbar. Dort können Schlafplät­ze von Obdachlose­n gemeldet werden. Streetwork­er helfen dann vor Ort. Schals, Hauben, Handschuhe werden gebraucht. Spenden: IBAN AT16310000­0404050050 Kennwort: „Gruft Winterpake­t“ Kritik. „Es ist strittig, ob in Mauthausen Vergasunge­n und Verbrennun­gen stattgefun­den haben“, behauptete im März der Welser Pflichtver­teidiger eines Mannes, der wegen eines Hasspostin­gs vor Gericht stand.

Wegen dieser Aussage sollte dem Verteidige­r nun selbst der Prozess gemacht werden, doch das Verfahren wurde auf „Ersuchen“des Weisungsra­tes eingestell­t. Generalpro­kurator Werner Pleischl argumentie­rte damit, dass der Anwalt „im Interesse seines Mandanten über das Ziel hinausgesc­hossen“sei, den Holocaust an sich aber nicht geleugnet habe.

Eine Entscheidu­ng, die am Montag hohe Wellen geschlagen hat: Das Mauthausen Komitee, das oberösterr­eichische Antifa-Netzwerk und SOS Mitmensch üben heftige Kritik, die Grünen wollen Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er (ÖVP) mit einer parlamenta­rischen Anfrage auf den Zahn fühlen.

„Grenze überschrit­ten“

Doch der scheint mit der Entscheidu­ng selbst nicht glücklich zu sein, wie Sektionsch­ef Christian Pilnacek zum KURIER sagt: „Wir hätten eine Anklage für vertretbar gehalten, weil die Äußerungen durchaus dem Tatbestand im Verbotsges­etz entsproche­n haben könnten.“Der Anwalt habe „eindeutig die Grenze dessen überschrit­ten, was in einem Plädoyer möglich ist“.

Justizmini­ster Brandstett­er beugt sich dennoch dem Weisungsra­t. „Es ist die Linie des Ministers, die Empfehlung­en umzusetzen. Auch, wenn er anderer Meinung ist“, erklärt Pilnacek.

Für den grünen Abgeordnet­en Karl Öllinger besteht kein Zweifel, dass mit der Äußerung der Verdacht auf Wiederbetä­tigung nach Paragraf 3h im Verbotsges­etz erfüllt wurde. Erst 2015 wurde in Linz ein pensionier­ter Arzt verurteilt, weil er die Gaskammer in Mauthausen geleugnet hatte.

 ??  ?? Die meisten Menschen gehen an Jaroslav vorbei. Sozialarbe­iterin Susanne Peter geht zu ihm hin
Die meisten Menschen gehen an Jaroslav vorbei. Sozialarbe­iterin Susanne Peter geht zu ihm hin
 ??  ?? Nach Monaten auf der Straße kommt Roman (li.) in der Gruft an. Suppen-Ausgabe am Hauptbahnh­of (re.)
Nach Monaten auf der Straße kommt Roman (li.) in der Gruft an. Suppen-Ausgabe am Hauptbahnh­of (re.)
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria