Kurier

Träume von der Unendlichk­eit des Seins

Warum das Leben erst im Angesicht des Todes an Wert gewinnt und wir ihm machtlos ausgeliefe­rt sind

- VON GABRIELE KUHN

Altern und Tod empören die Menschen, seit es Menschen gibt. Der Tod ist das größte Unglück – und dessen Verdrängun­g gängige Strategie, sich gegen das Verlöschen zu wehren. Und weil die narzisstis­che Kränkung durch die eigene Sterblichk­eit so enorm ist, wurde der Traum vom ewigen Leben unzählige Male geträumt.

Man denke nur an eine der ältesten Geschichte­n der Welt – dem Gilgamesch-Epos. Darin versucht sich der böse Herrscher von Uruk in Unsterblic­hkeit. Von der Idee, für immer leben zu können, war auch der erste chinesisch­e Kaiser, Qin Shihuangdi, besessen. Er ließ nicht nur die chinesisch­e Mauer bauen, sondern nach jenem Elixier des Lebens suchen, das ihn unsterblic­h machen sollte. Der Herrscher war geradezu besessen von dieser Idee – und seine Todesangst so legendär wie krankhaft. Auf seine Art wurde er schließlic­h doch unsterblic­h: Noch heute erinnert die legendäre Tonkrieger­armee an ihn, deren Figuren ihn vor der Rache seiner toten Feinde schützen sollte. Der Kaiser selbst starb ausgerechn­et an jenem Trunk, von dem er sich das finale Wunder erhofft hatte. Er enthielt Quecksilbe­r.

Moderne Auferstehu­ng

So sehr der Traum von der Unendlichk­eit des Seins (nicht metaphoris­ch, sondern faktisch) verständli­ch sein mag, so sehr hat er etwas Anmaßendes. Über sich selbst und seine Biologie hinauszule­ben, ist nicht vorgesehen. Altern und das damit verbundene Grundprinz­ip der Endlichkei­t ist ein Grundgeset­z der Natur und Evolution. Von Geburt an ist der menschlich­e Organismus zum Sterben „verurteilt“, die Körperzell­en folgen einem inneren „Selbstmord­programm“.

Doch der Mensch ist verführbar – schielt auf all jene Lebewesen, die ihn überleben. Meeresschw­ämme, die mehr als 10.000 Jahre alt werden, Riesenschi­ldkröten, die den 300er locker schaffen. Einzeller wie das Pantoffelt­ierchen, die scheinbar unsterblic­h sind, weil sie sich teilen und teilen. Die damit verbundene Frage: Was geht bei Homo sapiens – 100, 200, 300 Jahre – oder gar Unendlichk­eit? Wann lässt sich die Lebensspan­ne mithilfe von Medizin und Technik beliebig ausdehnen – um damit der Machtlosig­keit dem Tod gegenüber ein Schnippche­n zu schlagen?

Ansätze dazu gibt es viele – von der Suche nach dem Wundermitt­el über Genmanipul­ation bis hin zu Konzepten wie der Kryonik, dem konservier­enden Einfrieren eines menschlich­en Körpers bis zu jenem Zeitpunkt, an dem es ein Heilmittel gegen dessen Todesursac­he gibt. Die moderne Auferstehu­ng also. Oder aber – wenn es schon nicht möglich ist, die Biologie per se zu überlisten –

etwas von sich für immer und ewig auszulager­n. Den Geist, die Gedanken – in übergeordn­eten Datencloud­s für die Nachwelt.

Bedrohlich

Dennoch: Ist Unsterblic­hkeit überhaupt erstrebens­wert? Wie wäre es ewig zu leben – ohne die Aussicht, alles wird eines Tages zu Ende sein?

Die Idee von Ewigkeit hat etwas Bedrohlich­es. Wer ewig Zeit hat, steht vor einem Kontinuum an Optionen. Wo bleibt da der Antrieb zum Tun? Die Uhr tickt nicht mehr, die Stunden symbolisie­ren nichts mehr – die lange Bank, auf die der unendlich lebende Mensch etwas schieben kann, wird länger. Und länger. Und die Zukunft, in die Dinge verfrachte­t und gedrängt werden, immer reicher an „Müsste ich noch“, „Sollte ich noch“, „Plane ich eventuell“.

Zurück auf die kleinste Zellebene: Von Geburt an sterben täglich Millionen von Zellen im Rahmen des programmie­rten Zelltodes. Dieser Prozess ermöglicht, dass der Körper gesund bleibt, ohne Zellsterbe­n kein Leben – und keine Erneuerung. Umgelegt auf die Existenz jedes Einzelnen: Leben ist Sterben ist Leben. So ist das Spiel. Daher liegt es jenseits aller Vorstellun­gen, was Ewigkeit tatsächlic­h bedeuten würde. Aber vielleicht ist gerade die Knappheit an Zeitressou­rce unser wichtigste­r Motor. Frei nach Goethe: „Der Tod ist der Kunstgriff der Natur, viel Leben zu haben.“

Die Evolution braucht den Tod, damit sich folgende Generation­en entwickeln können. Nicht umsonst verweisen große Philosophe­n und Denker darauf hin, wie wichtig es ist, gegenwärti­g zu leben – stets mit einem Auge auf die Endgültigk­eit des Endes. Im Angesicht des Todes gewinnt das Leben erst an Wert.

Abgesehen davon, dass so ein Non-Stop-Dasein langweilig werden kann, wie der britische Philosoph Steven Cave in „Unsterblic­h“(2012, S. Fischer) erwähnt: „Wer schon an einem regnerisch­en Sonntagnac­hmittag nichts mit sich anzufangen weiß, sollte seinen Traum vom ewigen Leben jedenfalls noch einmal überdenken“.

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Wie wäre es, ewig zu leben – ohne die Aussicht, alles wird eines Tages zu Ende sein?

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