„Das Leben ist ein Wirbelsturm“
Der französische Schauspielstar über Fehlurteile, Mut zum Risiko und seine Liebe zum Theater
Ein totes Kind, ein dubioser Stiefvater, ein untröstlicher Vater: Das sind die Ingredienzien, aus denen der Franzose Vincent Garenq seinen Kinofilm „Im Namen meiner Tochter – Der Fall Kalinka“(derzeit im Kino) komponiert hat. Die Geschichte über den Vater der getöteten Kalinka, der den plötzlichen Tod der Tochter rächen will, lebt ganz und gar von der Darstellung Daniel Auteuils.
Er haucht dem von Schmerz besessenen André Bamberski und damit dem ganzen Film Leben ein. Ein Gespräch mit dem mittlerweile 66 Jahre alten Star unter den französischen Charakterdarstellern („Jean Florette“, „Die Bartholomäusnacht“, „Ein Herz im Winter“, „Diebe der Nacht“) in Paris. KURIER: Was hat Sie an diesem auf Fakten basierenden Fall des André Bamberski, der das Recht selber in die Hand nimmt, fasziniert? Daniel Auteuil: Ich mochte diese Idee eines Mannes, der sich nach langem, fruchtlosem Kampf nicht mehr auf andere verlässt, sondern selber das Heft in die Hand nimmt. Diese Idee eines schier end- losen, rund 30 Jahre andauernden Kampfes für das, was er als Gerechtigkeit empfindet, hat mich tief berührt. Das war schon außergewöhnlich und nur durch die unbedingte Liebe des Vaters zu seinem Kind, die weit über den Tod hinaus ging, durchzustehen. Sie hatten vor Beginn der Dreharbeiten auch Kontakt zum echten Monsieur Bamberski, der inzwischen 80 Jahre alt ist. Hat er Ihnen etwas Wichtiges erzählt?
Wir haben uns einmal zum Essen getroffen und geredet. Er erzählte mir viele Dinge und sprach über die belastenden Erfahrungen, die er im Lauf der Jahre seines Kampfes gegen den Täter, Kalinkas Stiefvater, gemacht hat. Ich habe seine Worte aufgesogen, weil es für mich wichtig war, ihn glaubwürdig zu verkörpern und nur ja keine miese Karikatur zu sein. Es war wohl ein gegenseitiges Abtasten – auch er wollte sich Gewissheit verschaffen, dass ich der Richtige bin. Er ist dann auch einmal an den Set gekommen, was ihn aber unendlich traurig gemacht hat. Da wurde ihm der Kampf um Gerechtigkeit, dem er quasi sein Leben geopfert hat, wieder so richtig bewusst. Alle Erin- nerungen, die er tief in sich begraben hatte, kamen wieder hoch. Denken Sie, dass es viele Fälle wie den von Bamberski gibt? Glatte Fehlurteile der Justiz, ge- gen die – anders als hier – nicht vorgegangen wird?
Auf jeden Fall. Ich bin ganz sicher, dass man da sehr viel aufdecken könnte. Die Justiz wird von Menschen vollzogen und Menschen machen immer wieder Fehler. Das lässt sich nicht vermeiden. Und es passiert ganz selten, dass sich jemand gegen ein Urteil der Justiz aufzulehnen traut. Deshalb ist dieser Fall ja so packend. Für Bamberski war seine Tochter bei ihm, solange er für sie kämpfte. So konnte er sie noch für sich am Leben erhalten. Was war Ihr Antrieb, Schauspieler zu werden?
Ich träumte immer schon davon, auf der Bühne zu stehen. Ich bin ja praktisch damit groß geworden. Meine Eltern waren Opernbeziehungsweise Operettensänger, die ganze Familie war am Theater beschäftigt. Schon mit vier Jahren war ich mit dabei und spielte den Sohn in „Madame Butterfly“. Es war völlig klar für mich, dass das auch mein Leben sein wird. Die dramatische Kunst war meine Berufung, das wusste ich schon von klein auf. Ich habe keine Zeit mit anderen Berufswünschen verloren. Ehe ich mich’s versah, war ich dann mittendrin im Metier: Ich habe mit wunderbaren Regisseuren und Kollegen gedreht, von Claude Berri über Patrice Chéreau und Claude Sautet bis zu Michael Haneke. Ich hatte eine Rolle nach der anderen, kam gar nicht zum Verschnaufen. Das Leben ist ein Wirbelsturm, der einen mitreißt. Ist Komödie das Genre, in dem Sie sich insgesamt am wohlsten fühlen?
Nein, ich fühle mich überall wohl. In dramatischen Rollen genauso wie in guten Komödien. Sie bereiten mir die gleiche Freude. Bei einem Drama sind meiner Erfahrung nach die Chancen, sich zu irren, geringer als bei einer Komödie. Eine Komödie erfordert immer Mut zum Risiko, auch den Mut, sich lächerlich zu machen. Ein Drama hat immer eine gewisse Noblesse, die der Komödie per se fehlt. Ihre Schule war ursprünglich das Theater. Kehren Sie heute immer noch gerne dorthin zurück?
Aber ja, ich liebe es. Derzeit spiele ich am Théâtre de Paris. In einem Stück des französischen Autors Florian Zeller mit dem Titel „L’envers du décor“. Es ist eine Komödie, bei der ich auch Regie führe. Das Besondere am Regieführen und Gleichzeitig-Spielen ist, dass man nicht nur auf die Bühne hinaufgeht und redet, sondern sich auch über alle Dinge rundherum Gedanken machen muss. Aber so lange es mir Spaß macht, mache ich mir über diese Mehrfachbelastung und viele Arbeit keine Gedanken.