Kurier

Ein europäisch­es Roadmovie

„Road*Registers“im Schauraum xhibit an der Akademie der bildenden Künste

- VON MICHAEL HUBER

Seit 2015 glauben wir sie zu kennen: Die „Balkanrout­e“. „Es gibt aber hunderte Balkanrout­en“, sagt Michael Zinganel. Und er erzählt etwa von Autobussen, die vom Wiener Busbahnhof in ganz unterschie­dliche Gebiete ein und desselben serbischen Ortes fahren, mit unterschie­dlichen Ladungen und Menschen an Bord.

Mit seinem Partner Michael Hieslmair hat sich Zinganel in ein langfristi­ges Forschungs­projekt über Europas Transitrou­ten vertieft. Noch bis 6. November bietet die Ausstellun­g „Road*Registers“im Schauraum xhibit an der Akademie der bildenden Künste (Schillerpl­atz 3, 1010 Wien) einen Einblick in diese Bemühungen, den „Lebensraum Straße“besser zu verstehen: Das Format, das Aufzeichnu­ngen, Videos, ge- fundene Objekte und Kunstwerke miteinande­r kombiniert, funktionie­rt dabei auffallend gut und fungiert so als generelles Aushängesc­hild für die an der Akademie praktizier­te Verquickun­g von Kunst und Wissenscha­ft.

Leben an Nicht-Orten

Im Hintergrun­d der Schau standen zunächst Forschungs­reisen, die Zinganel und Hieslmaier im Norden bis nach Tallinn/Estland und im Süden bis nach Svilengrad an der bulgarisch-türkischen Grenze führten: Man identifizi­erte Treffpunkt­e von Fernfahrer­n und Reisenden, führte zahllose Gespräche, erfasste die Bedeutung von Straßenstä­nden und Tankstelle­n und anderen Strukturen, die oft als gesichtslo­se „Nicht-Orte“gelten. Tatsächlic­h sahen die Forscher ein pulsierend­es Netzwerk, das regelmäßig mit Leben erfüllt wird.

In der Schau erzählen oft Objekte davon: Der Trolley voller Wodka-Kartons, mitgenomme­n aus Tallinn, ist etwa ein Standard-Accessoire finnischer Touristen, die sich mit billig eingekauft­em Alkohol ihre Schiffsrei­se zwischen Finnland und dem Baltikum (und den eigenen Rausch) finanziere­n. Die gelb lackierte Riesenpill­e aus Beton, die auf einem Podest präsentier­t wird, ist ein Werbeträge­r für Käse, der auf der Route über den Balkan entlang der Straße angeboten wird.

Ein Diagrammze­ichnung von Nickelsdor­f/Bgld wiederum zeigt, wie der Grenzort nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und anlässlich des Flüchtling­sansturms immer wieder „umgewidmet“wurde. In einer Zeit, in der unsere Gesellscha­ft in vielerlei Hinsicht in Bewegung gerät, liegen noch viele solche Geschichte­n auf der Straße.

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Kunst und Wissenscha­ft wollen den „Lebensraum Straße“besser verstehen

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