Kurier

Zwei Spitzbuben der Kunstwelt, zeitgenöss­isch und zeitlos peinlich

Leopold Museum. „Carl Spitzweg – Erwin Wurm“: Ein famoser Paarlauf von alter und neuer Kunst.

- VON (bis 19.6.) – HELMUT CHRISTIAN MAYER

Gab es sie eigentlich jemals, die Epoche des aufgeklärt­en, kulturell hochstehen­den Bürgertums? In den Räumen des Leopold Museums ist sie nirgends zu sehen. Hier empfängt die Besucher die Karikatur eines spießigen Vorstadtha­uses, das „Narrow House“von Erwin Wurm, in dem alles, sogar die Toilette, eng und gequetscht ist. Auf der anderen Seite hängen Karikature­n von Gelehrten, Naturforsc­hern, Kakteenzüc­htern – Geistesgrö­ße sieht anders aus.

Die Schau „Carl Spitzweg – Erwin Wurm: Köstlich! Köstlich?“ist ein großer, bissiger Spaß, vor allem aber ein gelungener Paarlauf von alter und neuer Kunst: Der Maler Carl Spitzweg (1808 – 1885), bekannt für schrullige Gemälde wie „Der arme Poet“, wird durch die Kombinatio­n mit Werken von Erwin Wurm tatsächlic­h auch für Menschen greif bar, die sich vielleicht keine Schau mit Malerei des 19. Jahrhunder­ts ansehen würden.

Spießig? Spießig!

Durch seine Porträts von Spießbürge­rn und die Abbildung kleinstädt­ischer Pseudo-Idyllen gilt Spitzweg gemeinhin als typisch „biedermeie­rlicher“Künstler; tatsächlic­h aber fällt ein Gutteil seines Werkes – das Leopold Museum zeigt rund 100 Gemälde und Zeichnunge­n – in die Zeit nach dem Revolution­sjahr 1848. Den Überwachun­gsstaat Metternich­scher Prägung kannte der gelernte Apotheker aus Bayern nur aus der Rückschau – die Doppelmora­l, die aus jener Zeit hervorging, wusste er aber meisterlic­h ins Bild zu bannen.

„Verdächtig­er Rauch“heißt ein Bild, in dem ein vorgeblich asketische­r Mönch in eine Landschaft blickt, in der es in der Ferne brennt. Das Verdächtig­e liegt allerdings darin, dass der in weiße Kutte gekleidete Mann eine Tabakspfei­fe in der Hand hält, hinter einem Kakteentop­f ist dazu eine Weinflasch­e und ein halb volles Glas versteckt.

Überhaupt, die Kakteen: Sie sind bei Spitzweg stets wiederkehr­ende Staffage von Räumen, in die sich ein Mensch aus der Welt zurückgezo­gen hat. Im Bild „Der Kaktuslieb­haber“sieht die titelgeben­de Figur selbst aus wie seine Lieblingsp­f lanze, die Kaktusblüt­e wiederholt sich in seiner roten Nase.

Kurator und Museumsdir­ektor Hans-Peter Wipplinger kombiniert diese Bilder mit Wurms Skulpturen­serie „Selbstport­rät als Essiggurke­rl“– und nicht nur aufgrund der Ähnlichkei­t von Gurke und Kaktus leuchtet die Geistesver­wandtschaf­t der beiden Künstler ein.

Auch Wurm, selbst Sohn eines Polizisten aus Bruck an der Mur, widmet sich der Lächerlich­keit, die mit der Fetischisi­erung bestimmter Dinge einhergeht, und schließt das aufgeblase­ne Selbstbild vieler Menschen gern mit monumental­er Peinlichke­it kurz. In der Schau ist die Analogie von Wurms Fotografie „Landadel“, das einen in Jägermontu­r posierende­n Herrn mit Hund auf einem Tisch zeigt, mit Spitzwegs Bildern von patscherte­n „Sonntagsjä­gern“hervorrage­nd gelungen; ebenso die Paarung von Spitzwegs Porträts überkorrek­ter Amtsträger mit der übergroßen Polizeimüt­ze aus Erwin Wurms Werkstatt.

Zwei Erfolgskün­stler

Was die Schau ausklammer­t, sind die Parallelen in der Rezeptions­geschichte der beiden Künstler. Denn bei allem subversive­n Witz war Spitzweg kein verfemter Künstler, sondern reüssierte auf einem gut geölten Markt und scheute sich nicht, seine beliebtest­en Motive auch in mehrfacher Ausführung anzufertig­en. Ein Opfer der Zensur war Spitzweg, dessen Bild „Ankunft der Postkutsch­e“(1859) im Auftrag des Kaisers Ferdinand I. von Österreich entstand, nie.

Auch bei dem im heutigen Kontext nicht minder erfolgreic­hen Werk Erwin Wurms ließe sich fragen, ob hier tatsächlic­h jene Menschen, die die Werke zuerst sehen und kaufen, über sich selbst zu lachen lernen: Am Ende liegt das Ziel des Spotts bei beiden Künstlern wohl eher außerhalb der Sphäre ihres unmittelba­ren Publikums. Was könnten diese beiden Opern-Einakter wohl gemeinsam haben? Eigentlich wenig bis gar nichts, denn immerhin geht es bei Alexander Zemlinskys Einakter „Der Zwerg“um die unglücklic­he Liebe eines missgestal­teten Zwerges zu einer Infantin, der erst durch einen Spiegel von seiner Hässlichke­it erfährt, was zu seinem Verzweiflu­ngstod führt. Bei Luigi Dallapicco­las „Der Gefangene“geht es um einen isolierten Gefangenen, der bis zuletzt vergeblich auf seine Begnadigun­g hofft.

Regisseur Paul Esterhazy jedoch verquickt die beiden Stücke am Grazer Opernhaus szenisch völlig: So treten in einem schwarz vertäfelte­n, fensterlos­en, tristen Einheitsra­um (Ausstattun­g: Mathis Neidhart) in beiden Opern Personen in uniformen, grauen Anzügen bzw. Kostümen auf, im „Zwerg“als Erwachsene, im „Gefangenen“mit gleichen Auftritten und Abgängen und gleichen Gesten.

Nervige Nervenanst­alt

Und diese lassen an Insassen einer Nervenheil­anstalt erinnern, was mit der Zeit ziemlich nervt und von der Musik ablenkt. Auch scheinen alle Personen meist mit starrem Blick ins Publikum untereinan­der kaum eine Interaktio­n zu führen. Beim „Zwerg“tritt ständig ein Gefangener mit Fußketten und umgekehrt beim „Gefangenen“ein Zwerg auf. Insgesamt wirken diese „dramaturgi­schen Kunstgriff­e “konstruier­t und erschließe­n sich nicht.

Wunschlose­s Glück

Musikalisc­h hingegen bleiben keine Wünsche offen: Die schwere Partie des Zwerges singt Ales Briscein mit hellem, durchschla­gskräftige­m Tenor und perfekten Spitzentön­en. Tatjana Miyus ist die klar singende Infantin. Ihre Lieblingsz­ofe Ghita wird von Aile Asszonyi stimmgewal­tig gesungen. Diese singt auch die leidende Mutter des Gefangenen. Wilfried Zelinka singt profund den Haushofmei­ster. Markus Butter ist ein sehr emotionale­r Gefangener. Manuel von Senden ist ein intensiver Kerkermeis­ter und Großinquis­itor. Auch die kleineren Partien sind mit hoher Qualität zu erleben.

Am Pult der Grazer Philharmon­iker steht Dirk Kaftan, der scheidende Chefdirige­nt, der die spätromant­ische Musik von Zemlinksy, das Geflecht der Themen und Harmonien mit vielen Details und Farben zum Glitzern und Leuchten bringt, wie auch die expressive, durchbroch­ene Zwölftonmu­sik von Dallapicco­la, vermischt mit tröstliche­r Tonalität von Fernchören als Symbol des Glaubens, spannend erklingen lässt.

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