Zwei Spitzbuben der Kunstwelt, zeitgenössisch und zeitlos peinlich
Leopold Museum. „Carl Spitzweg – Erwin Wurm“: Ein famoser Paarlauf von alter und neuer Kunst.
Gab es sie eigentlich jemals, die Epoche des aufgeklärten, kulturell hochstehenden Bürgertums? In den Räumen des Leopold Museums ist sie nirgends zu sehen. Hier empfängt die Besucher die Karikatur eines spießigen Vorstadthauses, das „Narrow House“von Erwin Wurm, in dem alles, sogar die Toilette, eng und gequetscht ist. Auf der anderen Seite hängen Karikaturen von Gelehrten, Naturforschern, Kakteenzüchtern – Geistesgröße sieht anders aus.
Die Schau „Carl Spitzweg – Erwin Wurm: Köstlich! Köstlich?“ist ein großer, bissiger Spaß, vor allem aber ein gelungener Paarlauf von alter und neuer Kunst: Der Maler Carl Spitzweg (1808 – 1885), bekannt für schrullige Gemälde wie „Der arme Poet“, wird durch die Kombination mit Werken von Erwin Wurm tatsächlich auch für Menschen greif bar, die sich vielleicht keine Schau mit Malerei des 19. Jahrhunderts ansehen würden.
Spießig? Spießig!
Durch seine Porträts von Spießbürgern und die Abbildung kleinstädtischer Pseudo-Idyllen gilt Spitzweg gemeinhin als typisch „biedermeierlicher“Künstler; tatsächlich aber fällt ein Gutteil seines Werkes – das Leopold Museum zeigt rund 100 Gemälde und Zeichnungen – in die Zeit nach dem Revolutionsjahr 1848. Den Überwachungsstaat Metternichscher Prägung kannte der gelernte Apotheker aus Bayern nur aus der Rückschau – die Doppelmoral, die aus jener Zeit hervorging, wusste er aber meisterlich ins Bild zu bannen.
„Verdächtiger Rauch“heißt ein Bild, in dem ein vorgeblich asketischer Mönch in eine Landschaft blickt, in der es in der Ferne brennt. Das Verdächtige liegt allerdings darin, dass der in weiße Kutte gekleidete Mann eine Tabakspfeife in der Hand hält, hinter einem Kakteentopf ist dazu eine Weinflasche und ein halb volles Glas versteckt.
Überhaupt, die Kakteen: Sie sind bei Spitzweg stets wiederkehrende Staffage von Räumen, in die sich ein Mensch aus der Welt zurückgezogen hat. Im Bild „Der Kaktusliebhaber“sieht die titelgebende Figur selbst aus wie seine Lieblingspf lanze, die Kaktusblüte wiederholt sich in seiner roten Nase.
Kurator und Museumsdirektor Hans-Peter Wipplinger kombiniert diese Bilder mit Wurms Skulpturenserie „Selbstporträt als Essiggurkerl“– und nicht nur aufgrund der Ähnlichkeit von Gurke und Kaktus leuchtet die Geistesverwandtschaft der beiden Künstler ein.
Auch Wurm, selbst Sohn eines Polizisten aus Bruck an der Mur, widmet sich der Lächerlichkeit, die mit der Fetischisierung bestimmter Dinge einhergeht, und schließt das aufgeblasene Selbstbild vieler Menschen gern mit monumentaler Peinlichkeit kurz. In der Schau ist die Analogie von Wurms Fotografie „Landadel“, das einen in Jägermontur posierenden Herrn mit Hund auf einem Tisch zeigt, mit Spitzwegs Bildern von patscherten „Sonntagsjägern“hervorragend gelungen; ebenso die Paarung von Spitzwegs Porträts überkorrekter Amtsträger mit der übergroßen Polizeimütze aus Erwin Wurms Werkstatt.
Zwei Erfolgskünstler
Was die Schau ausklammert, sind die Parallelen in der Rezeptionsgeschichte der beiden Künstler. Denn bei allem subversiven Witz war Spitzweg kein verfemter Künstler, sondern reüssierte auf einem gut geölten Markt und scheute sich nicht, seine beliebtesten Motive auch in mehrfacher Ausführung anzufertigen. Ein Opfer der Zensur war Spitzweg, dessen Bild „Ankunft der Postkutsche“(1859) im Auftrag des Kaisers Ferdinand I. von Österreich entstand, nie.
Auch bei dem im heutigen Kontext nicht minder erfolgreichen Werk Erwin Wurms ließe sich fragen, ob hier tatsächlich jene Menschen, die die Werke zuerst sehen und kaufen, über sich selbst zu lachen lernen: Am Ende liegt das Ziel des Spotts bei beiden Künstlern wohl eher außerhalb der Sphäre ihres unmittelbaren Publikums. Was könnten diese beiden Opern-Einakter wohl gemeinsam haben? Eigentlich wenig bis gar nichts, denn immerhin geht es bei Alexander Zemlinskys Einakter „Der Zwerg“um die unglückliche Liebe eines missgestalteten Zwerges zu einer Infantin, der erst durch einen Spiegel von seiner Hässlichkeit erfährt, was zu seinem Verzweiflungstod führt. Bei Luigi Dallapiccolas „Der Gefangene“geht es um einen isolierten Gefangenen, der bis zuletzt vergeblich auf seine Begnadigung hofft.
Regisseur Paul Esterhazy jedoch verquickt die beiden Stücke am Grazer Opernhaus szenisch völlig: So treten in einem schwarz vertäfelten, fensterlosen, tristen Einheitsraum (Ausstattung: Mathis Neidhart) in beiden Opern Personen in uniformen, grauen Anzügen bzw. Kostümen auf, im „Zwerg“als Erwachsene, im „Gefangenen“mit gleichen Auftritten und Abgängen und gleichen Gesten.
Nervige Nervenanstalt
Und diese lassen an Insassen einer Nervenheilanstalt erinnern, was mit der Zeit ziemlich nervt und von der Musik ablenkt. Auch scheinen alle Personen meist mit starrem Blick ins Publikum untereinander kaum eine Interaktion zu führen. Beim „Zwerg“tritt ständig ein Gefangener mit Fußketten und umgekehrt beim „Gefangenen“ein Zwerg auf. Insgesamt wirken diese „dramaturgischen Kunstgriffe “konstruiert und erschließen sich nicht.
Wunschloses Glück
Musikalisch hingegen bleiben keine Wünsche offen: Die schwere Partie des Zwerges singt Ales Briscein mit hellem, durchschlagskräftigem Tenor und perfekten Spitzentönen. Tatjana Miyus ist die klar singende Infantin. Ihre Lieblingszofe Ghita wird von Aile Asszonyi stimmgewaltig gesungen. Diese singt auch die leidende Mutter des Gefangenen. Wilfried Zelinka singt profund den Haushofmeister. Markus Butter ist ein sehr emotionaler Gefangener. Manuel von Senden ist ein intensiver Kerkermeister und Großinquisitor. Auch die kleineren Partien sind mit hoher Qualität zu erleben.
Am Pult der Grazer Philharmoniker steht Dirk Kaftan, der scheidende Chefdirigent, der die spätromantische Musik von Zemlinksy, das Geflecht der Themen und Harmonien mit vielen Details und Farben zum Glitzern und Leuchten bringt, wie auch die expressive, durchbrochene Zwölftonmusik von Dallapiccola, vermischt mit tröstlicher Tonalität von Fernchören als Symbol des Glaubens, spannend erklingen lässt.